Die gefahrliche Wette
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Johann Wolfgang von Goethe
Die gef"ahrliche Wette
Es ist bekannt, dass die Menschen, sobald es ihnen einigermassen wohl und nach ihrem Sinne geht, alsobald nicht wissen, was sie vor "Ubermut anfangen sollen; und so hatten denn auch mutwillige Studenten die Gewohnheit, w"ahrend der Ferien scharenweis das Land zu durchziehen und nach ihrer Art Suiten zu reissen, welche freilich nicht immer die besten Folgen hatten. Sie waren gar verschiedener Art, wie sie das Burschenleben zusammenf"uhrt und bindet. Ungleich von Geburt und Wohlhabenheit, Geist und Bildung, aber alle gesellig in einem heitern Sinne miteinander sich fortbewegend und treibend. Mich aber w"ahlten sie oft zum Gesellen: denn wenn ich schwerere Lasten trug als einer von ihnen, so mussten sie mir denn auch den Ehrentitel eines grossen Suitiers erteilen, und zwar haupts"achlich deshalb, weil ich seltener, aber desto kr"aftiger meine Possen trieb, wovon denn folgendes ein Zeugnis geben mag.
Wir hatten auf unseren Wanderungen ein angenehmes Bergdorf erreicht, das bei einer abgeschiedenen Lage den Vorteil einer Poststation und in grosser Einsamkeit ein paar h"ubsche M"adchen zu Bewohnerinnen hatte. Man wollte ausruhen, die Zeit verschleudern, verliebeln, eine Welle wohlfeiler leben und deshalb desto mehr Geld vergeuden.
Es war gerade nach Tisch, als einige sich im erh"ohten, andere im erniedrigten Zustand befanden. Die einen lagen und schliefen ihren Rausch aus; die andern h"atten ihn gern auf irgendeine mutwillige Weise ausgelassen. Wir hatten ein paar grosse Zimmer im Seitenfl"ugel nach dem Hof zu. Eine sch"one Equipage, die mit vier Pferden hereinrasselte, zog uns an die Fenster. Die Bedienten sprangen vom Bock und halfen einem Herrn von stattlichem, vornehmem Ansehen heraus, der ungeachtet seiner Jahre noch r"ustig genug auftrat. Seine grosse, wohlgebildete Nase fiel mir zuerst ins Gesicht, und ich weiss nicht, was f"ur ein b"oser Geist mich anhauchte, so dass ich in einem Augenblick den tollsten Plan erfand und ihn, ohne weiter zu denken, sogleich auszuf"uhren begann.
«Was d"unkt euch von diesem Herrn?«fragte ich die Gesellschaft. —
«Wenn du es leistest«, sagte Raufbold,»so zahlt dir jeder einen Louisdor.«—»Kassieren Sie das Geld f"ur mich ein«, rief ich aus;»auf Sie verlasse ich mich.«—»Ich m"ochte lieber einem L"owen ein Haar von der Schauze raufen«, sagte der Kleine. — »Ich habe keine Zeit zu verlieren«, versetzte ich und sprang die Treppe hinunter.
Bei dem ersten Anblick des Fremden hatte ich bemerkt, dass er einen sehr starken Bart hatte, und vermutete, dass keiner von seinen Leuten rasieren k"onne. Nun begegnete ich dem Kellner und fragte:»Hat der Fremde nicht nach einem Barbier gefragt?«—»Freilich!«versetzte der Kellner,»und es ist eine rechte Not. Der Kammerdiener des Herrn ist schon zwei Tage zur"uckgeblieben. Der Herr will seinen Bart absolut los sein, und unser einziger Barbier, wer weiss, wo er in die Nachbarschaft hingegangen.»
«So meldet mich an«, versetzte ich;»f"uhrt mich als Bartscherer bei dem Herrn nur ein, und Ihr werdet Ehre mit mir einlegen. «Ich nahm das Rasierzeug, das ich im Hause fand, und folgte dem Kellner.
Der alte Herr empfing mich mit grosser Gravit"at, besah mich von oben bis unten, als ob er meine Geschicklichkeit aus mir herausphysiognomieren wollte.»Versteht Er Sein Handwerk?«sagte er zu mir.
«Ich suche meinesgleichen«, versetzte ich,»ohne mich zu r"uhmen. «Auch war ich meiner Sache gewiss: denn ich hatte fr"uh die edle Kunst getrieben und war besonders deswegen ber"uhmt, weil ich mit der linken Hand rasierte.
Das Zimmer, in welchem der Herr seine Toilette machte, ging nach dem Hof und war gerade so gelegen, dass unsere Freunde f"uglich hereinsehen konnten, besonders wenn die Fenster offen waren. An geh"origer Vorrichtung fehlte nichts mehr. Der Patron hatte sich gesetzt und das Tuch vorgenommen. Ich trat ganz bescheidentlich vor ihn hin und sagte:»Exzellenz! mir ist bei Aus"ubung meiner Kunst das Besondere vorgekommen, dass ich die gemeinen Leute besser und zu mehrerer Zufriedenheit rasiert habe als die Vornehmen. Dar"uber habe ich denn lange nachgedacht und die Ursache bald da, bald dort gesucht, endlich aber gefunden, dass ich meine Sache in freier Luft viel besser mache als in verschlossenen Zimmern. Wollten Ew. Exzellenz deshalb erlauben, dass ich die Fenster aufmache, so w"urden Sie den Effekt zu eigener Zufriedenheit gar bald empfinden.
Sehr stattlich bewegte sich der alte Herr gegen den Spiegel: man sah, dass er sich mit einiger Gef"alligkeit betrachtete, und wirklich, es war ein sehr sch"oner Mann. Dann wendete er sich zu mir mit einem feurigen schwarzen, aber freundlichen Blick und sagte:»Er verdient, mein Freund, vor vielen seinesgleichen gelobt zu werden, denn ich bemerke an Ihm weit weniger Unarten als an andern. So f"ahrt Er nicht zwei-, dreimal "uber dieselbige Stelle, sondern es ist mit einem Strich getan; auch streicht Er nicht, wie mehrere tun, sein Schermesser in der flachen Hand ab und f"uhrt den Unrat nicht der Person "uber die Nase. Besonders aber ist Seine Geschicklichkeit der linken Hand zu bewundern. Hier ist etwas f"ur Seine M"uhe«, fuhr er fort, indem er mir einen Gulden reichte.»Nur eines merk' Er sich: dass man Leute von Stande nicht bei der Nase fasst. Wird Er diese b"aurische Sitte k"unftig vermeiden, so kann Er wohl noch in der Welt sein Gl"uck machen.»
Ich verneigte mich tief, versprach alles m"ogliche, bat ihn, bei allenfallsiger R"uckkehr mich wieder zu beehren, und eilte, was ich konnte, zu unseren jungen Gesellen, die mir zuletzt ziemlich Angst gemacht hatten. Denn sie verf"uhrten ein solches Gel"achter und ein solches Geschrei, sprangen wie toll in der Stube herum, klatschten und riefen, weckten die Schlafenden und erz"ahlten die Begebenheit immer mit neuem Lachen und Toben, dass ich selbst, als ich ins Zimmer trat, die Fenster vor allen Dingen zumachte und sie um Gottes willen bat, ruhig zu sein, endlich aber mitlachen musste "uber das Aussehen einer n"arrischen Handlung, die ich mit so vielem Ernste durchgef"uhrt hatte.
Als nach einiger Zeit sich die tobenden Wellen des Lachens einigermassen gelegt hatten, hielt ich mich f"ur gl"ucklich; die Goldst"ucke hatte ich in der Tasche und den wohlverdienten Gulden dazu, und ich hielt mich f"ur ganz wohl ausgestattet, welches mir um so erw"unschter war, als die Gesellschaft beschlossen hatte, des andern Tages auseinanderzugehen. Aber uns war nicht bestimmt, mit Zucht und Ordnung zu scheiden. Die Geschichte war zu reizend, als dass man sie h"atte bei sich behalten k"onnen, so sehr ich auch gebeten und beschworen hatte, nur bis zur Abreise des alten Herrn reinen Mund zu halten. Einer bei uns, der Fahrige genannt, hatte ein Liebesverst"andnis mit der Tochter des Hauses. Sie kamen zusammen, und Gott weiss, ob er sie nicht besser zu unterhalten wusste, genug, er erz"ahlt ihr den Spass, und so wollten sie sich nun zusammen totlachen. Dabei blieb es nicht, sondern das M"adchen brachte die M"are lachend weiter, und so mochte sie endlich noch kurz vor Schlafengehen an den alten Herrn gelangen.
Wir sassen ruhiger als sonst: denn es war den Tag "uber genug getobt worden, als auf einmal der kleine Kellner, der uns sehr zugetan war, hereinsprang und rief:»Rettet euch, man wird euch totschlagen!«Wir fuhren auf und wollten mehr wissen; er aber war schon zur T"ure wieder hinaus. Ich sprang auf und schob den Nachtriegel vor; schon aber h"orten wir an der T"ure pochen und schlagen, ja wir glaubten zu h"oren, dass sie durch eine Axt gespalten werde. Maschinenm"assig zogen wir uns ins zweite Zimmer zur"uck, alle waren verstummt:»Wir sind verraten«, rief ich aus,»der Teufel hat uns bei der Nase!»