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1924 Голодарь (сборник)
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Diese kleine Frau nun ist mit mir sehr unzufrieden, immer hat sie etwas an mir auszusetzen, immer geschieht ihr Unrecht von mir, ich "argere sie auf Schritt und Tritt; wenn man das Leben in allerkleinste Teile teilen und jedes Teilchen gesondert beurteilen k"onnte, w"are gewiss jedes Teilchen meines Lebens f"ur sie ein "Argernis. Ich habe oft dar"uber nachgedacht, warum ich sie denn so "argere; mag sein, dass alles an mir ihrem Sch"onheitssinn, ihrem Gerechtigkeitsgef"uhl, ihren Gewohnheiten, ihren "Uberlieferungen, ihren Hoffnungen widerspricht, es gibt derartige einander widersprechende Naturen, aber warum leidet sie so sehr darunter? Es besteht ja gar keine Beziehung zwischen uns, die sie zwingen w"urde, durch mich zu leiden. Sie m"usste sich nur entschliessen, mich als v"ollig Fremden anzusehn, der ich ja auch bin und der ich gegen einen solchen Entschluss mich nicht wehren, sondern ihn sehr begr"ussen w"urde, sie m"usste sich nur entschliessen, meine Existenz zu vergessen, die ich ihr ja niemals aufgedr"angt habe oder aufdr"angen w"urde – und alles Leid w"are offenbar vor"uber. Ich sehe hiebei ganz von mir ab und davon, dass ihr Verhalten nat"urlich auch mir peinlich ist, ich sehe davon ab, weil ich ja wohl erkenne, dass alle diese Peinlichkeit nichts ist im Vergleich mit ihrem Leid. Wobei ich mir allerdings durchaus dessen bewusst bin, dass es kein liebendes Leid ist; es liegt ihr gar nichts daran, mich wirklich zu bessern, zumal ja auch alles, was sie an mir aussetzt, nicht von einer derartigen Beschaffenheit ist, dass mein Fortkommen dadurch gest"ort w"urde. Aber mein Fortkommen k"ummert sie eben auch nicht, sie k"ummert nichts anderes als ihr pers"onliches Interesse, n"amlich die Qual zu r"achen, die ich ihr bereite, und die Qual, die ihr in Zukunft von mir droht, zu verhindern. Ich habe schon einmal versucht, sie darauf hinzuweisen, wie diesem fortw"ahrenden "Arger am besten ein Ende gemacht werden k"onnte, doch habe ich sie gerade dadurch in eine derartige Aufwallung gebracht, dass ich den Versuch nicht mehr wiederholen werde.

Auch liegt ja, wenn man will, eine gewisse Verantwortung auf mir, denn so fremd mir die kleine Frau auch ist, und so sehr die einzige Beziehung, die zwischen uns besteht, der "Arger ist, den ich ihr bereite, oder vielmehr der "Arger, den sie sich von mir bereiten l"asst, d"urfte es mir doch nicht gleichg"ultig sein, wie sie sichtbar unter diesem "Arger auch k"orperlich leidet. Es kommen hie und da, sich mehrend in letzter Zeit, Nachrichten zu mir, dass sie wieder einmal am Morgen bleich, "ubern"achtig, von Kopfschmerzen gequ"alt und fast arbeitsunf"ahig gewesen sei; sie macht damit ihren Angeh"origen Sorgen, man r"at hin und her nach den Ursachen ihres Zustandes und hat sie bisher noch nicht gefunden. Ich allein kenne sie, es ist der alte und immer neue "Arger. Nun teile ich freilich die Sorgen ihrer Angeh"origen nicht; sie ist stark und z"ah; wer sich so zu "argern vermag, vermag wahrscheinlich auch die Folgen des "Argers zu "uberwinden; ich habe sogar den Verdacht, dass sie sich – wenigstens zum Teil – nur leidend stellt, um auf diese Weise den Verdacht der Welt auf mich hinzulenken. Offen zu sagen, wie ich sie durch mein Dasein qu"ale, ist sie zu stolz; an andere meinetwegen zu appellieren, w"urde sie als eine Herabw"urdigung ihrer selbst empfinden; nur aus Widerwillen, aus einem nicht aufh"orenden, ewig sie antreibenden Widerwillen besch"aftigt sie sich mit mir; diese unreine Sache auch noch vor der "Offentlichkeit zu besprechen, das w"are f"ur ihre Scham zu viel. Aber es ist doch auch zu viel, von der Sache ganz zu schweigen, unter deren unaufh"orlichem Druck sie steht. Und so versucht sie in ihrer Frauenschlauheit einen Mittelweg; schweigend, nur durch die "aussern Zeichen eines geheimen Leides will sie die Angelegenheit vor das Gericht der "Offentlichkeit bringen. Vielleicht hofft sie sogar, dass, wenn die "Offentlichkeit einmal ihren vollen Blick auf mich richtet, ein allgemeiner "offentlicher "Arger gegen mich entstehen und mit seinen grossen Machtmitteln mich bis zur vollst"andigen Endg"ultigkeit viel kr"aftiger und schneller richten wird, als es ihr verh"altnism"assig doch schwacher privater "Arger imstande ist; dann aber wird sie sich zur"uckziehen, aufatmen und mir den R"ucken kehren. Nun, sollten dies wirklich ihre Hoffnungen sein, so t"auscht sie sich. Die "Offentlichkeit wird nicht ihre Rolle "ubernehmen; die "Offentlichkeit wird niemals so unendlich viel an mir auszusetzen haben, auch wenn sie mich unter ihre st"arkste Lupe nimmt. Ich bin kein so unn"utzer Mensch, wie sie glaubt; ich will mich nicht r"uhmen und besonders nicht in diesem Zusammenhang; wenn ich aber auch nicht durch besondere Brauchbarkeit ausgezeichnet sein sollte, werde ich doch auch gewiss nicht gegenteilig auffallen; nur f"ur sie, f"ur ihre fast weissstrahlenden Augen bin ich so, niemanden andern wird sie davon "uberzeugen k"onnen. Also k"onnte ich in dieser Hinsicht v"ollig beruhigt sein? Nein, doch nicht; denn wenn es wirklich bekannt wird, dass ich sie geradezu krank mache durch mein Benehmen, und einige Aufpasser, eben die fleissigsten Nachrichten-"Uberbringer, sind schon nahe daran, es zu durchschauen oder sie stellen sich wenigstens so, als durchschauten sie es, und es kommt die Welt und wird mir die Frage stellen, warum ich denn die arme kleine Frau durch meine Unverbesserlichkeit qu"ale und ob ich sie etwa bis in den Tod zu treiben beabsichtige und wann ich endlich die Vernunft und das einfache menschliche Mitgef"uhl haben werde, damit aufzuh"oren – wenn mich die Welt so fragen wird, es wird schwer sein, ihr zu antworten. Soll ich dann eingestehn, dass ich an jene Krankheitszeichen nicht sehr glaube und soll ich damit den unangenehmen Eindruck hervorrufen, dass ich, um von einer Schuld loszukommen, andere beschuldige und gar in so unfeiner Weise? Und k"onnte ich etwa gar offen sagen, dass ich, selbst wenn ich an ein wirkliches Kranksein glaubte, nicht das geringste Mitgef"uhl h"atte, da mir ja die Frau v"ollig fremd ist und die Beziehung, die zwischen uns besteht, nur von ihr hergestellt ist und nur von ihrer Seite aus besteht. Ich will nicht sagen, dass man mir nicht glauben w"urde; man w"urde mir vielmehr weder glauben noch nicht glauben; man k"ame gar nicht so weit, dass davon die Rede sein k"onnte; man w"urde lediglich die Antwort registrieren, die ich hinsichtlich einer schwachen, kranken Frau gegeben habe, und das w"are wenig g"unstig f"ur mich. Hier wie bei jeder andern Antwort wird mir eben hartn"ackig in die Quere kommen die Unf"ahigkeit der Welt, in einem Fall wie diesem den Verdacht einer Liebesbeziehung nicht aufkommen zu lassen, trotzdem es bis zur "aussersten Deutlichkeit zutage liegt, dass eine solche Beziehung nicht besteht und dass, wenn sie bestehen w"urde, sie eher noch von mir ausginge, der ich tats"achlich die kleine Frau in der Schlagkraft ihres Urteils und der Unerm"udlichkeit ihrer Folgerungen immerhin zu bewundern f"ahig w"are, wenn ich nicht eben durch ihre Vorz"uge immerfort gestraft w"urde. Bei ihr aber ist jedenfalls keine Spur einer freundlichen Beziehung zu mir vorhanden; darin ist sie aufrichtig und wahr; darauf ruht meine letzte Hoffnung; nicht einmal, wenn es in ihren Kriegsplan passen w"urde, an eine solche Beziehung zu mir glauben zu machen, w"urde sie sich soweit vergessen, etwas derartiges zu tun. Aber die in dieser Richtung v"ollig stumpfe "Offentlichkeit wird bei ihrer Meinung bleiben und immer gegen mich entscheiden.

So bliebe mir eigentlich doch nur "ubrig, rechtzeitig, ehe die Welt eingreift, mich soweit zu "andern, dass ich den "Arger der kleinen Frau nicht etwa beseitige, was undenkbar ist, aber doch ein wenig mildere. Und ich habe mich tats"achlich "ofters gefragt, ob mich denn mein gegenw"artiger Zustand so befriedige, dass ich ihn gar nicht "andern wolle, und ob es denn nicht m"oglich w"are, gewisse "Anderungen an mir vorzunehmen, auch wenn ich es nicht t"ate, weil ich von ihrer Notwendigkeit "uberzeugt w"are, sondern nur, um die Frau zu bes"anftigen. Und ich habe es ehrlich versucht, nicht ohne M"uhe und Sorgfalt, es entsprach mir sogar, es belustigte mich fast; einzelne "Anderungen ergaben sich, waren weithin sichtbar, ich musste die Frau nicht auf sie aufmerksam machen, sie merkt alles derartige fr"uher als ich, sie merkt schon den Ausdruck der Absicht in meinem Wesen; aber ein Erfolg war mir nicht beschieden. Wie w"are es auch m"oglich? Ihre Unzufriedenheit mit mir ist ja, wie ich jetzt schon einsehe, eine grunds"atzliche; nichts kann sie beseitigen, nicht einmal die Beseitigung meiner selbst; ihre Wutanf"alle etwa bei der Nachricht meines Selbstmordes w"aren grenzenlos. Nun kann ich mir nicht vorstellen, dass sie, diese scharfsinnige Frau, dies nicht ebenso einsieht wie ich, und zwar sowohl die Aussichtslosigkeit ihrer Bem"uhungen als auch meine Unschuld, meine Unf"ahigkeit, selbst bei bestem Willen ihren Forderungen zu entsprechen. Gewiss sieht sie es ein, aber als K"ampfernatur vergisst sie es in der Leidenschaft des Kampfes, und meine ungl"uckliche Art, die ich aber nicht anders w"ahlen kann, denn sie ist mir nun einmal so gegeben, besteht darin, dass ich jemandem, der ausser Rand und Band geraten ist, eine leise Mahnung zufl"ustern will. Auf diese Weise werden wir uns nat"urlich nie verst"andigen. Immer wieder werde ich etwa im Gl"uck der ersten Morgenstunden aus dem Hause treten und dieses um meinetwillen vergr"amte Gesicht sehn, die verdriesslich aufgest"ulpten Lippen, den pr"ufenden und schon vor der Pr"ufung das Ergebnis kennenden Blick, der "uber mich hinf"ahrt und dem selbst bei gr"osster Fl"uchtigkeit nichts entgehen kann, das bittere in die m"adchenhafte Wange sich einbohrende L"acheln, das klagende Aufschauen zum Himmel, das Einlegen der H"ande in die H"uften, um sich zu festigen, und dann in der Emp"orung das Bleichwerden und Erzittern.

Letzthin machte ich, "uberhaupt zum erstenmal, wie ich mir bei dieser Gelegenheit erstaunt eingestand, einem guten Freund einige Andeutungen von dieser Sache, nur nebenbei, leicht, mit ein paar Worten, ich dr"uckte die Bedeutung des Ganzen, so klein sie f"ur mich nach aussen hin im Grunde ist, noch ein wenig unter die Wahrheit hinab. Sonderbar, dass der Freund dennoch nicht dar"uber hinwegh"orte, ja sogar aus eigenem der Sache an Bedeutung hinzugab, sich nicht ablenken liess und dabei verharrte. Noch sonderbarer allerdings, dass er trotzdem in einem entscheidenden Punkt die Sache untersch"atzte, denn er riet mir ernstlich, ein wenig zu verreisen. Kein Rat k"onnte unverst"andiger sein; die Dinge liegen zwar einfach, jeder kann sie, wenn er n"aher hinzutritt, durchschauen, aber so einfach sind sie doch auch nicht, dass durch mein Wegfahren alles oder auch nur das Wichtigste in Ordnung k"ame. Im Gegenteil, vor dem Wegfahren muss ich mich vielmehr h"uten; wenn ich "uberhaupt irgendeinen Plan befolgen soll, dann jedenfalls den, die Sache in ihren bisherigen, engen, die Aussenwelt noch nicht einbeziehenden Grenzen zu halten, also ruhig zu bleiben, wo ich bin, und keine grossen, durch diese Sache veranlassten, auffallenden Ver"anderungen zuzulassen, wozu auch geh"ort, mit niemandem davon zu sprechen, aber dies alles nicht deshalb, weil es irgendein gef"ahrliches Geheimnis w"are, sondern deshalb, weil es eine kleine, rein pers"onliche und als solche immerhin leicht zu tragende Angelegenheit ist und weil sie dieses auch bleiben soll. Darin waren die Bemerkungen des Freundes doch nicht ohne Nutzen, sie haben mich nichts Neues gelehrt, aber mich in meiner Grundansicht best"arkt.

Wie es sich ja "uberhaupt bei genauerem Nachdenken zeigt, dass die Ver"anderungen, welche die Sachlage im Laufe der Zeit erfahren zu haben scheint, keine Ver"anderungen der Sache selbst sind, sondern nur die Entwicklung meiner Anschauung von ihr, insofern, als diese Anschauung teils ruhiger, m"annlicher wird, dem Kern n"aher kommt, teils allerdings auch unter dem nicht zu verwindenden Einfluss der fortw"ahrenden Ersch"utterungen, seien diese auch noch so leicht, eine gewisse Nervosit"at annimmt.

Ruhiger werde ich der Sache gegen"uber, indem ich zu erkennen glaube, dass eine Entscheidung, so nahe sie manchmal bevorzustehen scheint, doch wohl noch nicht kommen wird; man ist leicht geneigt, besonders in jungen Jahren, das Tempo, in dem Entscheidungen kommen, sehr zu "ubersch"atzen; wenn einmal meine kleine Richterin, schwach geworden durch meinen Anblick, seitlich in den Sessel sank, mit der einen Hand sich an der R"uckenlehne festhielt, mit der anderen an ihrem Schn"urleib nestelte, und Tr"anen des Zornes und der Verzweiflung ihr die Wangen hinabrollten, dachte ich immer, nun sei die Entscheidung da und gleich w"urde ich vorgerufen werden, mich zu verantworten. Aber nichts von Entscheidung, nichts von Verantwortung, Frauen wird leicht "ubel, die Welt hat nicht Zeit, auf alle F"alle aufzupassen. Und was ist denn eigentlich in all den Jahren geschehn? Nichts weiter, als dass sich solche F"alle wiederholten, einmal st"arker, einmal schw"acher, und dass nun also ihre Gesamtzahl gr"osser ist. Und dass Leute sich in der N"ahe herumtreiben und gern eingreifen w"urden, wenn sie eine M"oglichkeit dazu finden w"urden; aber sie finden keine, bisher verlassen sie sich nur auf ihre Witterung, und Witterung allein gen"ugt zwar, um ihren Besitzer reichlich zu besch"aftigen, aber zu anderem taugt sie nicht. So aber war es im Grunde immer, immer gab es diese unn"utzen Eckensteher und Lufteinatmer, welche ihre N"ahe immer auf irgendeine "uberschlaue Weise, am liebsten durch Verwandtschaft, entschuldigten, immer haben sie aufgepasst, immer haben sie die Nase voll Witterung gehabt, aber das Ergebnis alles dessen ist nur, dass sie noch immer dastehn. Der ganze Unterschied besteht darin, dass ich sie allm"ahlich erkannt habe, ihre Gesichter unterscheide; fr"uher habe ich geglaubt, sie k"amen allm"ahlich von "uberall her zusammen, die Ausmasse der Angelegenheit vergr"osserten sich und w"urden von selbst die Entscheidung erzwingen; heute glaube ich zu wissen, dass das alles von altersher da war und mit dem Herankommen der Entscheidung sehr wenig oder nichts zu tun hat. Und die Entscheidung selbst, warum benenne ich sie mit einem so grossen Wort? Wenn es einmal – und gewiss nicht morgen und "ubermorgen und wahrscheinlich niemals – dazu kommen sollte, dass sich die "Offentlichkeit doch mit dieser Sache, f"ur die sie, wie ich immer wiederholen werde, nicht zust"andig ist, besch"aftigt, werde ich zwar nicht unbesch"adigt aus dem Verfahren hervorgehen, aber es wird doch wohl in Betracht gezogen werden, dass ich der "Offentlichkeit nicht unbekannt bin, in ihrem vollen Licht seit jeher lebe, vertrauensvoll und Vertrauen verdienend, und dass deshalb diese nachtr"aglich hervorgekommene leidende kleine Frau, die nebenbei bemerkt ein anderer als ich vielleicht l"angst als Klette erkannt und f"ur die "Offentlichkeit v"ollig ger"auschlos unter seinem Stiefel zertreten h"atte, dass diese Frau doch schlimmstenfalls nur einen kleinen h"asslichen Schn"orkel dem Diplom hinzuf"ugen k"onnte, in welchem mich die "Offentlichkeit l"angst als ihr achtungswertes Mitglied erkl"art. Das ist der heutige Stand der Dinge, der also wenig geeignet ist, mich zu beunruhigen.

Dass ich mit den Jahren doch ein wenig unruhig geworden bin, hat mit der eigentlichen Bedeutung der Sache gar nichts zu tun; man h"alt es einfach nicht aus, jemanden immerfort zu "argern, selbst wenn man die Grundlosigkeit des "Argers wohl erkennt; man wird unruhig, man f"angt an, gewissermassen nur k"orperlich, auf Entscheidungen zu lauern, auch wenn man an ihr Kommen vern"unftigerweise nicht sehr glaubt. Zum Teil aber handelt es sich auch nur um eine Alterserscheinung; die Jugend kleidet alles gut; unsch"one Einzelheiten verlieren sich in der unaufh"orlichen Kraftquelle der Jugend; mag einer als Junge einen etwas lauernden Blick gehabt haben, er ist ihm nicht "ubelgenommen, er ist gar nicht bemerkt worden, nicht einmal von ihm selbst, aber, was im Alter "ubrigbleibt, sind Reste, jeder ist n"otig, keiner wird erneut, jeder steht unter Beobachtung, und der lauernde Blick eines alternden Mannes ist eben ein ganz deutlich lauernder Blick, und es ist nicht schwierig, ihn festzustellen. Nur ist es aber auch hier keine wirkliche sachliche Verschlimmerung.

Von wo aus also ich es auch ansehe, immer wieder zeigt sich und dabei bleibe ich, dass, wenn ich mit der Hand auch nur ganz leicht diese kleine Sache verdeckt halte, ich noch sehr lange, ungest"ort von der Welt, mein bisheriges Leben ruhig werde fortsetzen d"urfen, trotz allen Tobens der Frau.

3. EIN HUNGERK"UNSTLER

In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an Hungerk"unstlern sehr zur"uckgegangen. W"ahrend es sich fr"uher gut lohnte, grosse derartige Vorf"uhrungen in eigener Regie zu veranstalten, ist dies heute v"ollig unm"oglich. Es waren andere Zeiten. Damals besch"aftigte sich die ganze Stadt mit dem Hungerk"unstler; von Hungertag zu Hungertag stieg die Teilnahme; jeder wollte den Hungerk"unstler zumindest einmal t"aglich sehn; an den sp"atern Tagen gab es Abonnenten, welche tagelang vor dem kleinen Gitterk"afig sassen; auch in der Nacht fanden Besichtigungen statt, zur Erh"ohung der Wirkung bei Fackelschein; an sch"onen Tagen wurde der K"afig ins Freie getragen, und nun waren es besonders die Kinder, denen der Hungerk"unstler gezeigt wurde; w"ahrend er f"ur die Erwachsenen oft nur ein Spass war, an dem sie der Mode halber teilnahmen, sahen die Kinder staunend, mit offenem Mund, der Sicherheit halber einander bei der Hand haltend, zu, wie er bleich, im schwarzen Trikot, mit m"achtig vortretenden Rippen, sogar einen Sessel verschm"ahend, auf hingestreutem Stroh sass, einmal h"oflich nickend, angestrengt l"achelnd Fragen beantwortete, auch durch das Gitter den Arm streckte, um seine Magerkeit bef"uhlen zu lassen, dann aber wieder ganz in sich selbst versank, um niemanden sich k"ummerte, nicht einmal um den f"ur ihn so wichtigen Schlag der Uhr, die das einzige M"obelst"uck des K"afigs war, sondern nur vor sich hinsah mit fast geschlossenen Augen und hie und da aus einem winzigen Gl"aschen Wasser nippte, um sich die Lippen zu feuchten.

Ausser den wechselnden Zuschauern waren auch st"andige, vom Publikum gew"ahlte W"achter da, merkw"urdigerweise gew"ohnlich Fleischhauer, welche, immer drei gleichzeitig, die Aufgabe hatten, Tag und Nacht den Hungerk"unstler zu beobachten, damit er nicht etwa auf irgendeine heimliche Weise doch Nahrung zu sich nehme. Es war das aber lediglich eine Formalit"at, eingef"uhrt zur Beruhigung der Massen, denn die Eingeweihten wussten wohl, dass der Hungerk"unstler w"ahrend der Hungerzeit niemals, unter keinen Umst"anden, selbst unter Zwang nicht, auch das Geringste nur gegessen h"atte; die Ehre seiner Kunst verbot dies. Freilich, nicht jeder W"achter konnte das begreifen, es fanden sich manchmal n"achtliche Wachgruppen, welche die Bewachung sehr lax durchf"uhrten, absichtlich in eine ferne Ecke sich zusammensetzten und dort sich ins Kartenspiel vertieften, in der offenbaren Absicht, dem Hungerk"unstler eine kleine Erfrischung zu g"onnen, die er ihrer Meinung nach aus irgendwelchen geheimen Vorr"aten hervorholen konnte. Nichts war dem Hungerk"unstler qu"alender als solche W"achter; sie machten ihn tr"ubselig; sie machten ihm das Hungern entsetzlich schwer; manchmal "uberwand er seine Schw"ache und sang w"ahrend dieser Wachzeit, solange er es nur aushielt, um den Leuten zu zeigen, wie ungerecht sie ihn verd"achtigten. Doch half das wenig; sie wunderten sich dann nur "uber seine Geschicklichkeit, selbst w"ahrend des Singens zu essen. Viel lieber waren ihm die W"achter, welche sich eng zum Gitter setzten, mit der tr"uben Nachtbeleuchtung des Saales sich nicht begn"ugten, sondern ihn mit den elektrischen Taschenlampen bestrahlten, die ihnen der Impresario zur Verf"ugung stellte. Das grelle Licht st"orte ihn gar nicht, schlafen konnte er ja "uberhaupt nicht, und ein wenig hind"ammern konnte er immer, bei jeder Beleuchtung und zu jeder Stunde, auch im "ubervollen, l"armenden Saal. Er war sehr gerne bereit, mit solchen W"achtern die Nacht g"anzlich ohne Schlaf zu verbringen; er war bereit, mit ihnen zu scherzen, ihnen Geschichten aus seinem Wanderleben zu erz"ahlen, dann wieder ihre Erz"ahlungen anzuh"oren, alles nur um sie wachzuhalten, um ihnen immer wieder zeigen zu k"onnen, dass er nichts Essbares im K"afig hatte und dass er hungerte, wie keiner von ihnen es k"onnte. Am gl"ucklichsten aber war er, wenn dann der Morgen kam, und ihnen auf seine Rechnung ein "uberreiches Fr"uhst"uck gebracht wurde, auf das sie sich warfen mit dem Appetit gesunder M"anner nach einer m"uhevoll durchwachten Nacht. Es gab zwar sogar Leute, die in diesem Fr"uhst"uck eine ungeb"uhrliche Beeinflussung der W"achter sehen wollten, aber das ging doch zu weit, und wenn man sie fragte, ob etwa sie nur um der Sache willen ohne Fr"uhst"uck die Nachtwache "ubernehmen wollten, verzogen sie sich, aber bei ihren Verd"achtigungen blieben sie dennoch.

Dieses allerdings geh"orte schon zu den vom Hungern "uberhaupt nicht zu trennenden Verd"achtigungen. Niemand war ja imstande, alle die Tage und N"achte beim Hungerk"unstler ununterbrochen als W"achter zu verbringen, niemand also konnte aus eigener Anschauung wissen, ob wirklich ununterbrochen, fehlerlos gehungert worden war; nur der Hungerk"unstler selbst konnte das wissen, nur er also gleichzeitig der von seinem Hungern vollkommen befriedigte Zuschauer sein. Er aber war wieder aus einem andern Grunde niemals befriedigt; vielleicht war er gar nicht vom Hungern so sehr abgemagert, dass manche zu ihrem Bedauern den Vorf"uhrungen fernbleiben mussten, weil sie seinen Anblick nicht ertrugen, sondern er war nur so abgemagert aus Unzufriedenheit mit sich selbst. Er allein n"amlich wusste, auch kein Eingeweihter sonst wusste das, wie leicht das Hungern war. Es war die leichteste Sache von der Welt. Er verschwieg es auch nicht, aber man glaubte ihm nicht, hielt ihn g"unstigstenfalls f"ur bescheiden, meist aber f"ur reklames"uchtig oder gar f"ur einen Schwindler, dem das Hungern allerdings leicht war, weil er es sich leicht zu machen verstand, und der auch noch die Stirn hatte, es halb zu gestehn. Das alles musste er hinnehmen, hatte sich auch im Laufe der Jahre daran gew"ohnt, aber innerlich nagte diese Unbefriedigtheit immer an ihm, und noch niemals, nach keiner Hungerperiode – dieses Zeugnis musste man ihm ausstellen – hatte er freiwillig den K"afig verlassen. Als H"ochstzeit f"ur das Hungern hatte der Impresario vierzig Tage festgesetzt, dar"uber hinaus liess er niemals hungern, auch in den Weltst"adten nicht, und zwar aus gutem Grund. Vierzig Tage etwa konnte man erfahrungsgem"ass durch allm"ahlich sich steigernde Reklame das Interesse einer Stadt immer mehr aufstacheln, dann aber versagte das Publikum, eine wesentliche Abnahme des Zuspruchs war festzustellen; es bestanden nat"urlich in dieser Hinsicht kleine Unterschiede zwischen den St"adten und L"andern, als Regel aber galt, dass vierzig Tage die H"ochstzeit war. Dann also am vierzigsten Tage wurde die T"ur des mit Blumen umkr"anzten K"afigs ge"offnet, eine begeisterte Zuschauerschaft erf"ullte das Amphitheater, eine Milit"arkapelle spielte, zwei "Arzte betraten den K"afig, um die n"otigen Messungen am Hungerk"unstler vorzunehmen, durch ein Megaphon wurden die Resultate dem Saale verk"undet, und schliesslich kamen zwei junge Damen, gl"ucklich dar"uber, dass gerade sie ausgelost worden waren, und wollten den Hungerk"unstler aus dem K"afig ein paar Stufen hinabf"uhren, wo auf einem kleinen Tischchen eine sorgf"altig ausgew"ahlte Krankenmahlzeit serviert war. Und in diesem Augenblick wehrte sich der Hungerk"unstler immer. Zwar legte er noch freiwillig seine Knochenarme in die hilfsbereit ausgestreckten H"ande der zu ihm hinabgebeugten Damen, aber aufstehen wollte er nicht. Warum gerade jetzt nach vierzig Tagen aufh"oren? Er h"atte es noch lange, unbeschr"ankt lange ausgehalten; warum gerade jetzt aufh"oren, wo er im besten, ja noch nicht einmal im besten Hungern war? Warum wollte man ihn des Ruhmes berauben, weiter zu hungern, nicht nur der gr"osste Hungerk"unstler aller Zeiten zu werden, der er ja wahrscheinlich schon war, aber auch noch sich selbst zu "ubertreffen bis ins Unbegreifliche, denn f"ur seine F"ahigkeit zu hungern f"uhlte er keine Grenzen. Warum hatte diese Menge, die ihn so sehr zu bewundern vorgab, so wenig Geduld mit ihm; wenn er es aushielt, noch weiter zu hungern, warum wollte sie es nicht aushalten? Auch war er m"ude, sass gut im Stroh und sollte sich nun hoch und lang aufrichten und zu dem Essen gehn, das ihm schon allein in der Vorstellung "Ubelkeiten verursachte, deren "Ausserung er nur mit R"ucksicht auf die Damen m"uhselig unterdr"uckte. Und er blickte empor in die Augen der scheinbar so freundlichen, in Wirklichkeit so grausamen Damen und sch"uttelte den auf dem schwachen Halse "uberschweren Kopf. Aber dann geschah, was immer geschah. Der Impresario kam, hob stumm – die Musik machte das Reden unm"oglich – die Arme "uber dem Hungerk"unstler, so, als lade er den Himmel ein, sich sein Werk hier auf dem Stroh einmal anzusehn, diesen bedauernswerten M"artyrer, welcher der Hungerk"unstler allerdings war, nur in ganz anderem Sinn; fasste den Hungerk"unstler um die d"unne Taille, wobei er durch "ubertriebene Vorsicht glaubhaft machen wollte, mit einem wie gebrechlichen Ding er es hier zu tun habe; und "ubergab ihn – nicht ohne ihn im geheimen ein wenig zu sch"utteln, so dass der Hungerk"unstler mit den Beinen und dem Oberk"orper unbeherrscht hin und her schwankte – den inzwischen totenbleich gewordenen Damen. Nun duldete der Hungerk"unstler alles; der Kopf lag auf der Brust, es war, als sei er hingerollt und halte sich dort unerkl"arlich; der Leib war ausgeh"ohlt; die Beine dr"uckten sich im Selbsterhaltungstrieb fest in den Knien aneinander, scharrten aber doch den Boden, so, als sei es nicht der wirkliche, den wirklichen suchten sie erst; und die ganze, allerdings sehr kleine Last des K"orpers lag auf einer der Damen, welche hilfesuchend, mit fliegendem Atem – so hatte sie sich dieses Ehrenamt nicht vorgestellt – zuerst den Hals m"oglichst streckte, um wenigstens das Gesicht vor der Ber"uhrung mit dem Hungerk"unstler zu bewahren, dann aber, da ihr dies nicht gelang und ihre gl"ucklichere Gef"ahrtin ihr nicht zu Hilfe kam, sondern sich damit begn"ugte, zitternd die Hand des Hungerk"unstlers, dieses kleine Knochenb"undel, vor sich herzutragen, unter dem entz"uckten Gel"achter des Saales in Weinen ausbrach und von einem l"angst bereitgestellten Diener abgel"ost werden musste. Dann kam das Essen, von dem der Impresario dem Hungerk"unstler w"ahrend eines ohnmacht"ahnlichen Halbschlafes ein wenig einfl"osste, unter lustigem Plaudern, das die Aufmerksamkeit vom Zustand des Hungerk"unstlers ablenken sollte; dann wurde noch ein Trinkspruch auf das Publikum ausgebracht, welcher dem Impresario angeblich vom Hungerk"unstler zugefl"ustert worden war; das Orchester bekr"aftigte alles durch einen grossen Tusch, man ging auseinander, und niemand hatte das Recht, mit dem Gesehenen unzufrieden zu sein, niemand, nur der Hungerk"unstler, immer nur er.

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