Сиддхартха (На немецком языке)
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Siddhartha hatte gelernt, Handel zu treiben, Macht Xber Menschen auszuXben, sich mit dem Weibe zu vergnXgen, er hatte gelernt, schXne Kleider zu tragen, Dienern zu befehlen, sich in wohlriechenden Wassern zu baden. Er hatte gelernt, zart und sorgfXltig bereitete Speisen zu essen, auch den Fisch, auch Fleisch und Vogel, GewXrze und SXigkeiten, und den Wein zu trinken, der trXge und vergessen macht. Er hatte gelernt, mit WXrfeln und auf dem Schachbrette zu spielen, TXnzerinnen zuzusehen, sich in der SXnfte tragen zu lassen, auf einem weichen Bett zu schlafen. Aber immer noch hatte er sich von den andern verschieden und ihnen Xberlegen gefXhlt, immer hatte er ihnen mit ein wenig Spott zugesehen, mit ein wenig spXttischer Verachtung, mit eben jener Verachtung, wie sie ein Samana stets fXr Weltleute fXhlt. Wenn Kamaswami krXnklich war, wenn er Xrgerlich war, wenn er sich beleidigt fXhlte, wenn er von seinen Kaufmannssorgen geplagt wurde, immer hatte Siddhartha es mit Spott angesehen. Langsam und unmerklich nur, mit den dahingehenden Erntezeiten und Regenzeiten, war sein Spott mXder geworden, war seine Xberlegenheit stiller geworden. Langsam nur, zwischen seinen wachsenden ReichtXmern, hatte Siddhartha selbst etwas von der Art der Kindermenschen angenommen, etwas von ihrer Kindlichkeit und von ihrer Xngstlichkeit. Und doch beneidete er sie, beneidete sie desto mehr, je Xhnlicher er ihnen wurde. Er beneidete sie um das Eine, was ihm fehlte und was sie hatten, um die Wichtigkeit, welche sie ihrem Leben beizulegen vermochten, um die Leidenschaftlichkeit ihrer Freuden und Xngste, um das bange, aber sXe GlXck ihrer ewigen Verliebtheit. In sich selbst, in Frauen, in ihre Kinder, in Ehre oder Geld, in PlXne oder Hoffnungen verliebt waren diese Menschen immerzu. Er aber lernte dies nicht von ihnen, gerade dies nicht, diese Kinderfreude und Kindertorheit; er lernte von ihnen gerade das Unangenehme, was er selbst verachtete. Es geschah immer Xfter, dass er am Morgen nach einem geselligen Abend lange liegen blieb und sich dumpf und mXde fXhlte. Es geschah, dass er Xrgerlich und ungeduldig wurde, wenn Kamaswami ihn mit seinen Sorgen lang weilte. Es geschah, dass er allzu laut lachte, wenn er im WXrfelspiel verlor. Sein Gesicht war noch immer klXger und geistiger als andre, aber es lachte selten, und nahm einen um den andern jene ZXge an, die man im Gesicht reicher Leute so hXufig findet, jene ZXge der Unzufriedenheit, der KrXnklichkeit, des Missmutes, der TrXgheit, der Lieblosigkeit. Langsam ergriff ihn die Seelenkrankheit der Reichen.
Wie ein Schleier, wie ein dXnner Nebel senkte sich MXdigkeit Xber Siddhartha, langsam, jeden Tag ein wenig dichter, jeden Monat ein wenig trXber, jedes Jahr ein wenig schwerer. Wie ein neues Kleid mit der Zeit alt wird, mit der Zeit seine schXne Farbe verliert, Flecken bekommt, Falten bekommt, an den SXumen abgestoXen wird und hier und dort blXde, fXdige Stellen zu zeigen beginnt, so war Siddharthas neues Leben, das er nach seiner Trennung von Govinda begonnen hatte, alt geworden, so verlor es mit den hinrinnenden Jahren Farbe und Glanz, so sammelten sich Falten und Flecken auf ihm, und im Grunde verborgen, hier und dort schon hXlich hervorblickend, wartete EnttXuschung und Ekel. Siddhartha merkte es nicht. Er merkte nur, das jene helle und sichere Stimme seines Innern, die einst in ihm erwacht war und ihn in seinen glXnzenden Zeiten je und je geleitet hatte, schweigsam geworden war.
Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die Begehrlichkeit, die TrXgheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er als das tXrichteste stets am meisten verachtet und gehXhnt hatte: die Habgier. Auch das Eigentum, der Besitz und Reichtum hatte ihn schlieXlich eingefangen, war ihm kein Spiel und Tand mehr, war Kette und Last geworden. Auf einem seltsamen und listigen Wege war Siddhartha in diese letzte und schnXdeste AbhXngigkeit geraten, durch das WXrfelspiel. Seit der Zeit nXmlich, da er im Herzen aufgehXrt hatte, ein Samana zu sein, begann Siddhartha das Spiel um Geld und Kostbarkeiten, das er sonst lXchelnd und lXssig als eine Sitte der Kindermenschen mitgemacht hatte, mit einer zunehmenden Wut und Leidenschaft zu treiben. Er war ein gefXrchteter Spieler, wenige wagten es mit ihm, so hoch und frech waren seine EinsXtze. Er trieb das Spiel aus der Not seines Herzens, das Verspielen und Verschleudern des elenden Geldes schuf ihm eine zornige Freude, auf keine andre Weise konnte er seine Verachtung des Reichtums, des GXtzen der Kaufleute, deutlicher und hXhnischer zeigen. So spielte er hoch und schonungslos, sich selbst hassend, sich selbst verhXhnend, strich Tausende ein, warf Tausende weg, verspielte Geld, verspielte Schmuck, verspielte ein Landhaus, gewann wieder, verspielte wieder. Jene Angst, jene furchtbare und beklemmende Angst, welche er wXhrend des WXrfelns, wXhrend des Bangens um hohe EinsXtze empfand, jene Angst liebte er und suchte sie immer zu erneuern, immer zu steigern, immer hXher zu kitzeln, denn in diesem GefXhl allein noch fXhlte er etwas wie GlXck, etwas wie Rausch, etwas wie erhXhtes Leben inmitten seines gesXttigten, lauen, faden Lebens. Und nach jedem groXen Verluste sann er auf neuen Reichtum, ging eifriger dem Handel nach, zwang strenger seine Schuldner zum Zahlen, denn er wollte weiter spielen, er wollte weiter vergeuden, weiter dem Reichtum seine Verachtung zeigen. Siddhartha verlor die Gelassenheit bei Verlusten, er verlor die Geduld gegen sXumige Zahler, verlor die GutmXtigkeit gegen Bettler, verlor die Lust am Verschenken und Wegleihen des Geldes an Bittende. Er, der zehntausend auf einen Wurf verspielte und dazu lachte, wurde im Handel strenger und kleinlicher, trXumte nachts zuweilen von Geld! Und so oft er aus dieser hXlichen Bezauberung erwachte, so oft er sein Gesicht im Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und hXlicher geworden sah, so oft Scham und Ekel ihn Xberfiel, floh er weiter, floh in neues GlXcksspiel, floh in BetXubungen der Wollust, des Weines, und von da zurXck in den Trieb des HXufens und Erwerbens. In diesem sinnlosen Kreislauf lief er sich mXde, lief er sich alt, lief sich krank.
Da mahnte ihn einst ein Traum. Er war die Abendstunden bei Kamala gewesen, in ihrem schXnen Lustgarten. Sie waren unter den BXumen gesessen, im GesprXch, und Kamala hatte nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter welchen sich eine Trauer und MXdigkeit verbarg. Von Gotama hatte sie ihn gebeten zu erzXhlen, und konnte nicht genug von ihm hXren, wie rein sein Auge, wie still und schXn sein Mund, wie gXtig sein LXcheln, wie friedevoll sein Gang gewesen. Lange hatte er ihr vom erhabenen Buddha erzXhlen mXssen, und Kamala hatte geseufzt, und hatte gesagt: Einst, vielleicht bald, werde auch ich diesem Buddha folgen. Ich werde ihm meinen Lustgarten schenken, und werde meine Zuflucht zu seiner Lehre nehmen." Darauf aber hatte sie ihn gereizt, und ihn im Liebesspiel mit schmerzlicher Inbrunst an sich gefesselt, unter Bissen und unter TrXnen, als wolle sie noch einmal aus dieser eiteln, vergXnglichen Lust den letzten sXen Tropfen pressen. Nie war es Siddhartha so seltsam klar geworden, wie nahe die Wollust dem Tode verwandt ist. Dann war er an ihrer Seite gelegen, und Kamalas Antlitz war ihm nahe gewesen, und unter ihren Augen und neben ihren Mundwinkeln hatte er, deutlich wie noch niemals, eine bange Schrift gelesen, eine Schrift von feinen Linien, von leisen Furchen, eine Schrift, die an den Herbst und an das Alter erinnerte, wie denn auch Siddhartha selbst, der erst in den Vierzigern stand, schon hier und dort ergraute Haare zwischen seinen schwarzen bemerkt hatte. MXdigkeit stand auf Kamalas schXnem Gesicht geschrieben, MXdigkeit vom Gehen eines langen Weges, der kein frohes Ziel hat, MXdigkeit und beginnende Welke, und verheimlichte, noch nicht gesagte, vielleicht noch nicht einmal gewusste Bangigkeit: Furcht vor dem Alter, Furcht vor dem Herbste, Furcht vor dem SterbenmXssen. Seufzend hatte er von ihr Abschied genommen, die Seele voll Unlust, und voll verheimlichter Bangigkeit.
Dann hatte Siddhartha die Nacht in seinem Hause mit TXnzerinnen beim Weine zugebracht, hatte gegen seine Standesgenossen den Xberlegenen gespielt, welcher er nicht mehr war, hatte viel Wein getrunken und spXt nach Mitternacht sein Lager aufgesucht, mXde und dennoch erregt, dem Weinen und der Verzweiflung nahe, und hatte lang vergeblich den Schlaf gesucht, das Herz voll eines Elendes, das er nicht mehr ertragen zu kXnnen meinte, voll eines Ekels, von dem er sich durchdrungen fXhlte wie vom lauen, widerlichen Geschmack des Weines, der allzu sXen, Xden Musik, dem allzu weichen LXcheln der TXnzerinnen, dem allzu sXen Duft ihrer Haare und BrXste. Mehr aber als vor allem anderen ekelte ihm vor sich selbst, vor seinen duftenden Haaren, vor dem Weingeruch seines Mundes, vor der schlaffen MXdigkeit und Unlust seiner Haut. Wie wenn einer, der allzuviel gegessen oder getrunken hat, es unter Qualen wieder erbricht und doch der Erleichterung froh ist, so wXnschte sich der Schlaflose, in einem ungeheuren Schwall von Ekel sich dieser GenXsse, dieser Gewohnheiten, dieses ganzen sinnlosen Lebens und seiner selbst zu entledigen. Erst beim Schein des Morgens und dem Erwachen der ersten GeschXftigkeit auf der StraXe vor seinem Stadthause war er eingeschlummert, hatte fXr wenige Augenblicke eine halbe BetXubung, eine Ahnung von Schlaf gefunden. In diesen Augenblicken hatte er einen Traum:
Kamala besaX in einem goldenen KXfig einen kleinen seltenen Singvogel. Von diesem Vogel trXumte er. Er trXumte: dieser Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er vor den KXfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er furchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen.
Aus diesem Traum auffahrend, fXhlte er sich von tiefer Traurigkeit umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben dahingefXhrt; nichts Lebendiges, nichts irgendwie KXstliches oder Behaltenswertes war ihm in HXnden geblieben. Allein stand er und leer, wie ein SchiffbrXchiger am Ufer.
Finster begab sich Siddhartha in einen Lustgarten, der ihm gehXrte, verschloss die Pforte, setzte sich unter einem Mangobaum nieder, fXhlte den Tod im Herzen und das Grauen in der Brust, saX und spXrte, wie es in ihm starb, in ihm welkte, in ihm zu Ende ging. AllmXhlich sammelte er seine Gedanken, und ging im Geiste nochmals den ganzen Weg seines Lebens, von den ersten Tagen an, auf welche er sich besinnen konnte. Wann denn hatte er ein GlXck erlebt, eine wahre Wonne gefXhlt? O ja, mehrere Male hatte er solches erlebt. In den Knabenjahren hatte er es gekostet, wenn er von den Brahmanen Lob errungen hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dem Hersagen der heiligen Verse, im Disput mit den Gelehrten, als Gehilfe beim Opfer ausgezeichnet hatte. Da hatte er es in seinem Herzen gefXhlt: "Ein Weg liegt vor dir, zu dem du berufen bist, auf dich warten die GXtter." Und wieder als JXngling, da ihn das immer hXher emporfliehende Ziel alles Nachdenkens aus der Schar Gleichstrebender heraus— und hinangerissen hatte, da er in Schmerzen um den Sinn des Brahman rang, da jedes erreichte Wissen nur neuen Durst in ihm entfachte, da wieder hatte er, mitten im Durst, mitten im Schmerze dieses selbe gefXhlt: "Weiter! Weiter! Du bist berufen!" Diese Stimme hatte er vernommen, als er seine Heimat verlassen und das Leben des Samana gewXhlt hatte, und wieder, als er von den Samanas hinweg zu jenem Vollendeten, und auch von ihm hinweg ins Ungewisse gegangen war. Wie lange hatte er diese Stimme nicht mehr gehXrt, wie lange keine HXhe mehr erreicht, wie eben und Xde war sein Weg dahingegangen, viele lange Jahre, ohne hohes Ziel, ohne Durst, ohne Erhebung, mit kleinen LXsten zufrieden und dennoch nie begnXgt! Alle diese Jahre hatte er, ohne es selbst zu wissen, sich bemXht und danach gesehnt, ein Mensch wie diese vielen zu werden, wie diese Kinder, und dabei war sein Leben viel elender und Xrmer gewesen als das ihre, denn ihre Ziele waren nicht die seinen, noch ihre Sorgen, diese ganze Welt der Kamaswami-Menschen war ihm ja nur ein Spiel gewesen, ein Tanz, dem man zusieht, eine KomXdie. Einzig Kamala war ihm lieb, war ihm wertvoll gewesen X aber war sie es noch? Brauchte er sie noch, oder sie ihn? Spielten sie nicht ein Spiel ohne Ende? War es notwendig, dafXr zu leben? Nein, es war nicht notwendig! Dieses Spiel hieX Sansara, ein Spiel fXr Kinder, ein Spiel, vielleicht hold zu spielen, einmal, zweimal, zehnmal X aber immer und immer wieder?
Da wusste Siddhartha, dass das Spiel zu Ende war, dass er es nicht mehr spielen kXnne. Ein Schauder lief ihm Xber den Leib, in seinem Innern, so fXhlte er, war etwas gestorben.
Jenen ganzen Tag saX er unter dem Mangobaume, seines Vaters gedenkend, Govindas gedenkend, Gotamas gedenkend. Hatte er diese verlassen mXssen, um ein Kamaswami zu werden? Er saX noch, als die Nacht angebrochen war. Als er aufschauend die Sterne erblickte, dachte er: "Hier sitze ich unter meinem Mangobaume, in meinem Lustgarten." Er lXchelte ein wenig X war es denn notwendig, war es richtig, war es nicht ein tXrichtes Spiel, dass er einen Mangobaum, dass er einen Garten besaX?
Auch damit schloss er ab, auch das starb in ihm. Er erhob sich, nahm Abschied vom Mangobaum, Abschied vom Lustgarten. Da er den Tag ohne Speise geblieben war, fXhlte er heftigen Hunger, und gedachte an sein Haus in der Stadt, an sein Gemach und Bett, an den Tisch mit den Speisen. Er lXchelte mXde, schXttelte sich und nahm Abschied von diesen Dingen.
In derselben Nachtstunde verlieX Siddhartha seinen Garten, verlieX die Stadt und kam niemals wieder. Lange lieX Kamaswami nach ihm suchen, der ihn in RXuberhand gefallen glaubte. Kamala lieX nicht nach ihm suchen. Als sie erfuhr, dass Siddhartha verschwunden sei, wunderte sie sich nicht. Hatte sie es nicht immer erwartet? War er nicht ein Samana, ein Heimloser, ein Pilger? Und am meisten hatte sie dies beim letzten Zusammensein gefXhlt, und sie freute sich mitten im Schmerz des Verlustes, dass sie ihn dieses letzte Mal noch so innig an ihr Herz gezogen, sich noch einmal so ganz von ihm, besessen und durchdrungen gefXhlt hatte.
Als sie die erste Nachricht von Siddharthas Verschwinden bekam, trat sie ans Fenster, wo sie in einem goldenen KXfig einen seltenen Singvogel gefangen hielt. Sie Xffnete die TXr des KXfigs, nahm den Vogel heraus und lieX ihn fliegen. Lange sah sie ihm nach, dem fliegenden Vogel. Sie empfing von diesem Tage an keine Besucher mehr, und hielt ihr Haus verschlossen. Nach einiger Zeit aber ward sie inne, dass sie von dem letzten Zusammensein mit Siddhartha schwanger sei.