Сиддхартха (На немецком языке)
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Als er nahe bei der Stadt auf die breite StraXe gelangte, blieb er stehen, am Eingang des schXnen Lustgartens, der einst Kamala gehXrt hatte, wo er sie einst, in der SXnfte, zum erstenmal gesehen hatte. Das Damalige stand in seiner Seele auf, wieder sah er sich dort stehen, jung, ein bXrtiger nackter Samana, das Haar voll Staub. Lange stand Siddhartha und blickte durch das offne Tor in den Garten, MXnche in gelben Kutten sah er unter den schXnen BXumen gehen.
Lange stand er, nachdenkend, Bilder sehend, der Geschichte seines Lebens lauschend. Lange stand er, blickte nach den MXnchen, sah statt ihrer den jungen Siddhartha, sah die junge Kamala unter den hohen BXumen gehen. Deutlich sah er sich, wie er von Kamala bewirtet ward, wie er ihren ersten Kuss empfing, wie er stolz und verXchtlich auf sein Brahmanentum zurXckblickte, stolz und verlangend sein Weltleben begann. Er sah Kamaswami, sah die Diener, die Gelage, die WXrfelspieler, die Musikanten, sah Kamalas Singvogel im KXfig, lebte dies alles nochmals, atmete Sansara, war nochmals alt und mXde, fXhlte nochmals den Ekel, fXhlte nochmals den Wunsch, sich auszulXschen, genas nochmals am heiligen Om.
Nachdem er lange beim Tor des Gartens gestanden war, sah Siddhartha ein, dass das Verlangen tXricht war, das ihn bis zu dieser StXtte getrieben hatte, dass er seinem Sohne nicht helfen konnte, dass er sich nicht an ihn hXngen durfte. Tief fXhlte er die Liebe zu dem Entflohenen im Herzen, wie eine Wunde, und fXhlte zugleich, dass ihm die Wunde nicht gegeben war, um in ihr zu wXhlen, dass sie zur BlXte werden und strahlen mXsse.
Dass die Wunde zu dieser Stunde noch nicht blXhte, noch nicht strahlte, machte ihn traurig. An der Stelle des Wunschzieles, das ihn hierher und dem entflohenen Sohne nachgezogen hatte, stand nun Leere. Traurig setzte er sich nieder, fXhlte etwas in seinem Herzen sterben, empfand Leere, sah keine Freude mehr, kein Ziel. Er saX versunken, und wartete. Dies hatte er am Flusse gelernt, dies eine: warten, Geduld haben, lauschen. Und er saX und lauschte, im Staub der StraXe, lauschte seinem Herzen, wie es mXd und traurig ging, wartete auf eine Stimme. Manche Stunde kauerte er lauschend, sah keine Bilder mehr, sank in die Leere, lieX sich sinken, ohne einen Weg zu sehen. Und wenn er die Wunde brennen fXhlte, sprach er lautlos das Om, fXllte sich mit Om. Die MXnche im Garten sahen ihn, und da er viele Stunden kauerte, und auf seinen grauen Haaren der Staub sich sammelte, kam einer gegangen und legte zwei PisangfrXchte vor ihm nieder. Der Alte sah ihn nicht.
Aus dieser Erstarrung weckte ihn eine Hand, welche seine Schulter berXhrte. Alsbald erkannte er diese BerXhrung, die zarte, schamhafte, und kam zu sich. Er erhob sich und begrXte Vasudeva, welcher ihm nachgegangen war. Und da er in Vasudevas freundliches Gesicht schaute, in die kleinen, wie mit lauter LXcheln ausgefXllten Falten, in die heiteren Augen, da lXchelte auch er. Er sah nun die PisangfrXchte vor sich liegen, hob sie auf, gab eine dem FXhrmann, aX selbst die andere. Darauf ging er schweigend mit Vasudeva in den Wald zurXck, kehrte zur FXhre heim. Keiner sprach von dem, was heute geschehen war, keiner nannte den Namen des Knaben, keiner sprach von seiner Flucht, keiner sprach von der Wunde. In der HXtte legte sich Siddhartha auf sein Lager, und da nach einer Weile Vasudeva zu Ihm trat, um ihm eine Schale Kokosmilch anzubieten, fand er ihn schon schlafend.
OM
Lange noch brannte die Wunde. Manchen Reisenden musste Siddhartha Xber den Fluss setzen, der einen Sohn oder eine Tochter bei sich hatte, und keinen von ihnen sah er, ohne dass er ihn beneidete, ohne dass er dachte: "So viele, so viel Tausende besitzen dies holdeste GlXck X warum ich nicht? Auch bXse Menschen, auch Diebe, und RXuber haben Kinder, und lieben sie, und werden von ihnen geliebt, nur ich nicht." So einfach, so ohne Verstand dachte er nun, so Xhnlich war er den Kindermenschen geworden.
Anders sah er jetzt die Menschen an als frXher, weniger klug, weniger stolz, dafXr wXrmer, dafXr neugieriger, beteiligter. Wenn er Reisende der gewXhnlichen Art Xbersetzte, Kindermenschen, GeschXftsleute, Krieger, Weibervolk, so erschienen diese Leute ihm nicht fremd wie einst: er verstand sie, er verstand und teilte ihr nicht von Gedanken und Einsichten, sondern einzig von Trieben und WXnschen geleitetes Leben, er fXhlte sich wie sie. Obwohl er nahe der Vollendung war, und an seiner letzten Wunde trug, schien ihm doch, diese Kindermenschen seien seine BrXder, ihre Eitelkeiten, Begehrlichkeiten und LXcherlichkeiten verloren das LXcherliche fXr ihn, wurden begreiflich, wurden liebenswert, wurden ihm sogar verehrungswXrdig. Die blinde Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, den dummen, blinden Stolz eines eingebildeten Vaters auf sein einziges SXhnlein, das blinde, wilde Streben nach Schmuck und nach bewundernden MXnneraugen bei einem jungen, eitlen Weibe, alle diese Triebe, alle diese Kindereien, alle diese einfachen, tXrichten, aber ungeheuer starken, stark lebenden, stark sich durchsetzenden Triebe und Begehrlichkeiten waren fXr Siddhartha jetzt keine Kindereien mehr, er sah um ihretwillen die Menschen leben, sah sie um ihretwillen Unendliches leisten, Reisen tun, Kriege fXhren, Unendliches leiden, Unendliches ertragen, und er konnte sie dafXr lieben, er sah das Leben, das Lebendige, das UnzerstXrbare, das Brahman in jeder ihrer Leidenschaften, jeder ihrer Taten. Liebenswert und bewundernswert waren diese Menschen in ihrer blinden Treue, ihrer blinden StXrke und ZXhigkeit. Nichts fehlte ihnen, nichts hatte der Wissende und Denker vor ihnen voraus als eine einzige Kleinigkeit, eine einzige winzig kleine Sache: das Bewusstsein, den bewussten Gedanken der Einheit alles Lebens. Und Siddhartha zweifelte sogar zu mancher Stunde, ob dies Wissen, dieser Gedanke so sehr hoch zu werten, ob nicht auch er vielleicht eine Kinderei der Denkmenschen, der Denk-Kindermenschen sein mXchte. In allem andern waren die Weltmenschen dem Weisen ebenbXrtig, waren ihm oft weit Xberlegen, wie ja auch Tiere in ihrem zXhen, unbeirrten Tun des Notwendigen in manchen Augenblicken den Menschen Xberlegen scheinen kXnnen.
Langsam blXhte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine FXhigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit denken, die Einheit fXhlen und einatmen zu kXnnen. Langsam blXhte dies in ihm auf, strahlte ihm aus Vasudevas altem Kindergesicht wider: Harmonie, Wissen um die ewige Vollkommenheit der Welt, LXcheln, Einheit.
Die Wunde aber brannte noch, sehnlich und bitter gedachte Siddhartha seines Sohnes, pflegte seine Liebe und ZXrtlichkeit im Herzen, lieX den Schmerz an sich fressen, beging alle Torheiten der Liebe. Nicht von selbst erlosch diese Flamme.
Und eines Tages, als die Wunde heftig brannte, fuhr Siddhartha Xber den Fluss, gejagt von Sehnsucht, stieg aus und war Willens, nach der Stadt zu gehen und seinen Sohn zu suchen. Der Fluss floss sanft und leise, es war in der trockenen Jahreszeit, aber seine Stimme klang sonderbar: sie lachte! Sie lachte deutlich. Der Fluss lachte, er lachte hell und klar den alten FXhrmann aus. Siddhartha blieb stehen, er beugte sich Xbers Wasser, um noch besser zu hXren, und im still ziehenden Wasser sah er sein Gesicht gespiegelt, und in diesem gespiegelten Gesicht war etwas, das ihn erinnerte, etwas Vergessenes, und da er sich besann, fand er es: dies Gesicht glich einem andern, das er einst gekannt und geliebt und auch gefXrchtet hatte. Es glich dem Gesicht seines Vaters, des Brahmanen. Und er erinnerte sich, wie er vor Zeiten, ein JXngling, seinen Vater gezwungen hatte, ihn zu den BXern gehen zu lassen, wie er Abschied von ihm genommen hatte, wie er gegangen und nie mehr wiedergekommen war. Hatte nicht auch sein Vater um ihn dasselbe Leid gelitten, wie er es nun um seinen Sohn litt? War nicht sein Vater lXngst gestorben, allein, ohne seinen Sohn wiedergesehen zu haben? Musste er selbst nicht dies selbe Schicksal erwarten? War es nicht eine KomXdie, eine seltsame und dumme Sache, diese Wiederholung, dieses Laufen in einem verhXngnisvollen Kreise?
Der Fluss lachte. Ja, es war so, es kam alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelXst ward, es wurden immer wieder dieselben Leiden gelitten. Siddhartha aber stieg wieder in das Boot und fuhr zu der HXtte zurXck, seines Vaters gedenkend, seines Sohnes gedenkend, vom Flusse verlacht, mit sich selbst im Streit, geneigt zur Verzweiflung, und nicht minder geneigt, aber sich und die ganze Welt laut mitzulachen. Ach, noch blXhte die Wunde nicht, noch wehrte sein Herz sich wider das Schicksal, noch strahlte nicht Heiterkeit und Sieg aus seinem Leide. Doch fXhlte er Hoffnung, und da er zur HXtte zurXckgekehrt war, spXrte er ein unbesiegbares Verlangen, sich vor Vasudeva zu Xffnen, ihm alles zu zeigen, ihm, dem Meister des ZuhXrens, alles zu sagen.
Vasudeva saX in der HXtte und flocht an einem Korbe. Er fuhr nicht mehr mit dem FXhrboot, seine Augen begannen schwach zu werden, und nicht nur seine Augen; auch seine Arme und HXnde. UnverXndert und blXhend war nur die Freude und das heitere Wohlwollen seines Gesichtes.
Siddhartha setzte sich zu dem Greise, langsam begann er zu sprechen. WorXber sie niemals gesprochen hatten, davon erzXhlte er jetzt, von seinem Gange zur Stadt, damals, von der brennenden Wunde, von seinem Neid beim Anblick glXcklicher VXter, von seinem Wissen um die Torheit solcher WXnsche, von seinem vergeblichen Kampf wider sie. Alles berichtete er, alles konnte er sagen, auch das Peinlichste, alles lieX sich sagen, alles sich zeigen, alles konnte er erzXhlen. Er zeigte seine Wunde dar, erzXhlte auch seine heutige Flucht, wie er Xbers Wasser gefahren sei, kindischer FlXchtling, willens nach der Stadt zu wandern, wie der Fluss gelacht habe.
WXhrend er sprach, lange sprach, wXhrend Vasudeva mit stillem Gesicht lauschte, empfand Siddhartha dies ZuhXren Vasudevas stXrker, als er es jemals gefXhlt hatte, er spXrte, wie seine Schmerzen, seine BeXngstigungen hinXberflossen, wie seine heimliche Hoffnung hinXberfloss, ihm von drXben wieder entgegenkam. Diesem ZuhXrer seine Wunde zu zeigen, war dasselbe, wie sie im Flusse baden, bis sie kXhl und mit dem Flusse eins wurde. WXhrend er immer noch sprach, immer noch bekannte und beichtete, fXhlte Siddhartha mehr und mehr, dass dies nicht mehr Vasudeva, nicht mehr ein Mensch war, der ihm zuhXrte, dass dieser regungslos Lauschende seine Beichte in sich einsog wie ein Baum den Regen, dass dieser Regungslose der Fluss selbst, dass er Gott selbst, dass er das Ewige selbst war. Und wXhrend Siddhartha aufhXrte, an sich und an seine Wunde zu denken, nahm diese Erkenntnis vom verXnderten Wesen des Vasudeva von ihm Besitz, und je mehr er es empfand und darein eindrang, desto weniger wunderlich wurde es, desto mehr sah er ein, dass alles in Ordnung und natXrlich war, dass Vasudeva schon lange, beinahe schon immer so gewesen sei, dass nur er selbst es nicht ganz erkannt hatte, ja dass er selbst von jenem kaum noch verschieden sei. Er empfand, dass er den alten Vasudeva nun so sehe, wie das Volk die GXtter sieht, und dass dies nicht von Dauer sein kXnne; er begann im Herzen von Vasudeva Abschied zu nehmen. Dabei sprach er immer fort.