1915 Кары (сборник)
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Von jetzt ab k"ummerte sich aber der Offizier kaum mehr um ihn. Er ging auf den Reisenden zu, zog wieder die kleine Ledermappe hervor, bl"atterte in ihr, fand schliesslich das Blatt, das er suchte, und zeigte es dem Reisenden. "Lesen Sie", sagte er. "Ich kann nicht", sagte der Reisende, "ich sagte schon, ich kann diese Bl"atter nicht lesen." "Sehen Sie das Blatt doch genau an", sagte der Offizier und trat neben den Reisenden, um mit ihm zu lesen. Als auch das nichts half, fuhr er mit dem kleinen Finger in grosser H"ohe, als d"urfe das Blatt auf keinen Fall ber"uhrt werden, "uber das Papier hin, um auf diese Weise dem Reisenden das Lesen zu erleichtern. Der Reisende gab sich auch M"uhe, um wenigstens darin dem Offizier gef"allig sein zu k"onnen, aber es war ihm unm"oglich. Nun begann der Offizier die Aufschrift zu buchstabieren und dann las er sie noch einmal im Zusammenhang. ">Sei gerecht! < – heisst es", sagte er, "jetzt k"onnen Sie es doch lesen. " Der Reisende beugte sich so tief "uber das Papier, dass der Offizier aus Angst vor einer Ber"uhrung es weiter entfernte; nun sagte der Reisende zwar nichts mehr, aber es war klar, dass er es noch immer nicht hatte lesen k"onnen. ">Sei gerecht! < – heisst es", sagte der Offizier nochmals. "Mag sein", sagte der Reisende, "ich glaube es, dass es dort steht." "Nun gut", sagte der Offizier, wenigstens teilweise befriedigt, und stieg mit dem Blatt auf die Leiter; er bettete das Blatt mit grosser Vorsicht im Zeichner und ordnete das R"aderwerk scheinbar g"anzlich um; es war eine sehr m"uhselige Arbeit, es musste sich auch um ganz kleine R"ader handeln, manchmal verschwand der Kopf des Offiziers v"ollig im Zeichner, so genau musste er das R"aderwerk untersuchen.
Der Reisende verfolgte von unten diese Arbeit ununterbrochen, der Hals wurde ihm steif, und die Augen schmerzten ihn von dem mit Sonnenlicht "ubersch"utteten Himmel. Der Soldat und der Verurteilte waren nur miteinander besch"aftigt. Das Hemd und die Hose des Verurteilten, die schon in der Grube lagen, wurden vom Soldaten mit der Bajonettspitze herausgezogen. Das Hemd war entsetzlich schmutzig, und der Verurteilte wusch es in dem Wasserk"ubel. Als er dann Hemd und Hose anzog, musste der Soldat wie der Verurteilte laut lachen, denn die Kleidungsst"ucke waren doch hinten entzweigeschnitten. Vielleicht glaubte der Verurteilte verpflichtet zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er drehte sich in der zerschnittenen Kleidung im Kreise vor dem Soldaten, der auf dem Boden hockte und lachend auf seine Knie schlug. Immerhin bezwangen sie sich noch mit R"ucksicht auf die Anwesenheit der Herren.
Als der Offizier oben endlich fertiggeworden war, "uberblickte er noch einmal l"achelnd das Ganze in allen seinen Teilen, schlug diesmal den Deckel des Zeichners zu, der bisher offen gewesen war, stieg hinunter, sah in die Grube und dann auf den Verurteilten, merkte befriedigt, dass dieser seine Kleidung herausgenommen hatte, ging dann zu dem Wasserk"ubel, um die H"ande zu waschen, erkannte zu sp"at den widerlichen Schmutz, war traurig dar"uber, dass er nun die H"ande nicht waschen konnte, tauchte sie schliesslich – dieser Ersatz gen"ugte ihm nicht, aber er musste sich f"ugen – in den Sand, stand dann auf und begann seinen Uniformrock aufzukn"opfen. Hiebei fielen ihm zun"achst die zwei Damentaschent"ucher, die er hinter den Kragen gezw"angt hatte, in die H"ande. "Hier hast du deine Taschent"ucher", sagte er und warf sie dem Verurteilten zu. Und zum Reisenden sagte er erkl"arend: "Geschenke der Damen. "
Trotz der offenbaren Eile, mit der er den Uniformrock auszog und sich dann vollst"andig entkleidete, behandelte er doch jedes Kleidungsst"uck sehr sorgf"altig, "uber die Silberschn"ure an seinem Waffenrock strich er sogar eigens mit den Fingern hin und sch"uttelte eine Troddel zurecht. Wenig passte es allerdings zu dieser Sorgfalt, dass er, sobald er mit der Behandlung eines St"uckes fertig war, es dann sofort mit einem unwilligen Ruck in die Grube warf. Das letzte, was ihm "ubrig blieb, war sein kurzer Degen mit dem Tragriemen. Er zog den Degen aus der Scheide, zerbrach ihn, fasste dann alles zusammen, die Degenst"ucke, die Scheide und den Riemen und warf es so heftig weg, dass es unten in der Grube aneinander klang.
Nun stand er nackt da. Der Reisende biss sich auf die Lippen und sagte nichts. Er wusste zwar, was geschehen w"urde, aber er hatte kein Recht, den Offizier an irgend etwas zu hindern. War das Gerichtsverfahren, an dem der Offizier hing, wirklich so nahe daran behoben zu werden – m"oglicherweise infolge des Einschreitens des Reisenden, zu dem sich dieser seinerseits verpflichtet f"uhlte – dann handelte jetzt der Offizier vollst"andig richtig; der Reisende h"atte an seiner Stelle nicht anders gehandelt.
Der Soldat und der Verurteilte verstanden zuerst nichts, sie sahen anfangs nicht einmal zu. Der Verurteilte war sehr erfreut dar"uber, die Taschent"ucher zur"uckerhalten zu haben, aber er durfte sich nicht lange an ihnen freuen, denn der Soldat nahm sie ihm mit einem raschen, nicht vorherzusehenden Griff. Nun versuchte wieder der Verurteilte dem Soldaten die T"ucher hinter dem G"urtel, hinter dem er sie verwahrt hatte, hervorzuziehen, aber der Soldat war wachsam. So stritten sie in halbem Scherz. Erst als der Offizier vollst"andig nackt war, wurden sie aufmerksam. Besonders der Verurteilte schien von der Ahnung irgendeines grossen Umschwungs getroffen zu sein. Was ihm geschehen war, geschah nun dem Offizier. Vielleicht w"urde es so bis zum "Aussersten gehen. Wahrscheinlich hatte der fremde Reisende den Befehl dazu gegeben. Das war also Rache. Ohne selbst bis zum Ende gelitten zu haben, wurde er doch bis zum Ende ger"acht. Ein breites, lautloses Lachen erschien nun auf seinem Gesicht und verschwand nicht mehr.
Der Offizier aber hatte sich der Maschine zugewendet. Wenn es schon fr"uher deutlich gewesen war, dass er die Maschine gut verstand, so konnte es jetzt einen fast best"urzt machen, wie er mit ihr umging und wie sie gehorchte. Er hatte die Hand der Egge nur gen"ahert, und sie hob und senkte sich mehrmals, bis sie die richtige Lage erreicht hatte um ihn zu empfangen; er fasste das Bett nur am Rande, und es fing schon zu zittern an; der Filzstumpf kam seinem Mund entgegen, man sah, wie der Offizier ihn eigentlich nicht haben wollte, aber das Z"ogern dauerte nur einen Augenblick, gleich f"ugte er sich und nahm ihn auf. Alles war bereit, nur die Riemen hingen noch an den Seiten hinunter, aber sie waren offenbar unn"otig, der Offizier musste nicht angeschnallt sein. Da bemerkte der Verurteilte die losen Riemen, seiner Meinung nach war die Exekution nicht vollkommen, wenn die Riemen nicht festgeschnallt waren, er winkte eifrig dem Soldaten, und sie liefen hin, den Offizier anzuschnallen. Dieser hatte schon den einen Fuss ausgestreckt, um in die Kurbel zu stossen, die den Zeichner in Gang bringen sollte; da sah er, dass die zwei gekommen waren; er zog daher den Fuss zur"uck und liess sich anschnallen. Nun konnte er allerdings die Kurbel nicht mehr erreichen; weder der Soldat noch der Verurteilte w"urden sie auffinden, und der Reisende war entschlossen, sich nicht zu r"uhren. Es war nicht n"otig; kaum waren die Riemen angebracht, fing auch schon die Maschine zu arbeiten an; das Bett zitterte, die Nadeln tanzten auf der Haut, die Egge schwebte auf und ab. Der Reisende hatte schon eine Weile hingestarrt, ehe er sich erinnerte, dass ein Rad im Zeichner h"atte kreischen sollen; aber alles war still, nicht das geringste Surren war zu h"oren.
Durch diese stille Arbeit entschwand die Maschine f"ormlich der Aufmerksamkeit. Der Reisende sah zu dem Soldaten und dem Verurteilten hin"uber. Der Verurteilte war der lebhaftere, alles an der Maschine interessierte ihn, bald beugte er sich nieder, bald streckte er sich, immerfort hatte er den Zeigefinger ausgestreckt, um dem Soldaten etwas zu zeigen. Dem Reisenden war es peinlich. Er war entschlossen, hier bis zum Ende zu bleiben, aber den Anblick der zwei h"atte er nicht lange ertragen. "Geht nach Hause", sagte er. Der Soldat w"are dazu vielleicht bereit gewesen, aber der Verurteilte empfand den Befehl geradezu als Strafe. Er bat flehentlich mit gefalteten H"anden ihn hier zu lassen, und als der Reisende kopfsch"uttelnd nicht nachgeben wollte, kniete er sogar nieder. Der Reisende sah, dass Befehle hier nichts halfen, er wollte hin"uber und die zwei vertreiben. Da h"orte er oben im Zeichner ein Ger"ausch. Er sah hinauf. St"orte also das eine Zahnrad doch? Aber es war etwas anderes. Langsam hob sich der Deckel des Zeichners und klappte dann vollst"andig auf. Die Zacken eines Zahnrades zeigten und hoben sich, bald erschien das ganze Rad, es war, als presse irgendeine grosse Macht den Zeichner zusammen, so dass f"ur dieses Rad kein Platz mehr "ubrig blieb, das Rad drehte sich bis zum Rand des Zeichners, fiel hinunter, kollerte aufrecht ein St"uck im Sand und blieb dann liegen. Aber schon stieg oben ein anderes auf, ihm folgten viele, grosse, kleine und kaum zu unterscheidende, mit allen geschah dasselbe, immer glaubte man, nun m"usse der Zeichner jedenfalls schon entleert sein, da erschien eine neue, besonders zahlreiche Gruppe, stieg auf, fiel hinunter, kollerte im Sand und legte sich. "Uber diesem Vorgang vergass der Verurteilte ganz den Befehl des Reisenden, die Zahnr"ader entz"uckten ihn v"ollig, er wollte immer eines fassen, trieb gleichzeitig den Soldaten an, ihm zu helfen, zog aber erschreckt die Hand zur"uck, denn es folgte gleich ein anderes Rad, das ihn, wenigstens im ersten Anrollen, erschreckte.
Der Reisende dagegen war sehr beunruhigt; die Maschine ging offenbar in Tr"ummer; ihr ruhiger Gang war eine T"auschung; er hatte das Gef"uhl, als m"usse er sich jetzt des Offiziers annehmen, da dieser nicht mehr f"ur sich selbst sorgen konnte. Aber w"ahrend der Fall der Zahnr"ader seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte, hatte er vers"aumt, die "ubrige Maschine zu beaufsichtigen; als er jedoch jetzt, nachdem das letzte Zahnrad den Zeichner verlassen hatte, sich "uber die Egge beugte, hatte er eine neue, noch "argere "Uberraschung. Die Egge schrieb nicht, sie stach nur, und das Bett w"alzte den K"orper nicht, sondern hob ihn nur zitternd in die Nadeln hinein. Der Reisende wollte eingreifen, m"oglicherweise das Ganze zum Stehen bringen, das war ja keine Folter, wie sie der Offizier erreichen wollte, das war unmittelbarer Mord. Er streckte die H"ande aus. Da hob sich aber schon die Egge mit dem aufgespiessten K"orper zur Seite, wie sie es sonst erst in der zw"olften Stunde tat. Das Blut floss in hundert Str"omen, nicht mit Wasser vermischt, auch die Wasserr"ohrchen hatten diesmal versagt. Und nun versagte noch das letzte, der K"orper l"oste sich von den langen Nadeln nicht, str"omte sein Blut aus, hing aber "uber der Grube ohne zu fallen. Die Egge wollte schon in ihre alte Lage zur"uckkehren, aber als merke sie selbst, dass sie von ihrer Last noch nicht befreit sei, blieb sie doch "uber der Grube. "Helft doch! " schrie der Reisende zum Soldaten und zum Verurteilten hin"uber und fasste selbst die F"usse des Offiziers. Er wollte sich hier gegen die F"usse dr"ucken, die zwei sollten auf der anderen Seite den Kopf des Offiziers fassen, und so sollte er langsam von den Nadeln gehoben werden. Aber nun konnten sich die zwei nicht entschliessen zu kommen; der Verurteilte drehte sich geradezu um; der Reisende musste zu ihnen hin"ubergehen und sie mit Gewalt zu dem Kopf des Offiziers dr"angen. Hiebei sah er fast gegen Willen das Gesicht der Leiche. Es war, wie es im Leben gewesen war; kein Zeichen der versprochenen Erl"osung war zu entdecken; was alle anderen in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht; die Lippen waren fest zusammengedr"uckt, die Augen waren offen, hatten den Ausdruck des Lebens, der Blick war ruhig und "uberzeugt, durch die Stirn ging die Spitze des grossen eisernen Stachels.
*****
Als der Reisende, mit dem Soldaten und dem Verurteilten hinter sich, zu den ersten H"ausern der Kolonie kam, zeigte der Soldat auf eines und sagte: "Hier ist das Teehaus. "
Im Erdgeschoss eines Hauses war ein tiefer, niedriger, h"ohlenartiger, an den W"anden und an der Decke verr"aucherter Raum. Gegen die Strasse zu war er in seiner ganzen Breite offen. Trotzdem sich das Teehaus von den "ubrigen H"ausern der Kolonie, die bis auf die Palastbauten der Kommandatur alle sehr verkommen waren, wenig unterschied, "ubte es auf den Reisenden doch den Eindruck einer historischen Erinnerung aus und er f"uhlte die Macht der fr"uheren Zeiten. Er trat n"aher heran, ging, gefolgt von seinen Begleitern, zwischen den unbesetzten Tischen hindurch, die vor dem Teehaus auf der Strasse standen, und atmete die k"uhle, dumpfige Luft ein, die aus dem Innern kam. "Der Alte ist hier begraben", sagte der Soldat, "ein Platz auf dem Friedhof ist ihm vom Geistlichen verweigert worden. Man war eine Zeitlang unentschlossen, wo man ihn begraben sollte, schliesslich hat man ihn hier begraben. Davon hat Ihnen der Offizier gewiss nichts erz"ahlt, denn dessen hat er sich nat"urlich am meisten gesch"amt. Er hat sogar einigemal in der Nacht versucht, den Alten auszugraben, er ist aber immer verjagt worden." "Wo ist das Grab?" fragte der Reisende, der dem Soldaten nicht glauben konnte. Gleich liefen beide, der Soldat wie der Verurteilte, vor ihm her und zeigten mit ausgestreckten H"anden dorthin, wo sich das Grab befinden sollte. Sie f"uhrten den Reisenden bis zur R"uckwand, wo an einigen Tischen G"aste sassen. Es waren wahrscheinlich Hafenarbeiter, starke M"anner mit kurzen, gl"anzend schwarzen Vollb"arten. Alle waren ohne Rock, ihre Hemden waren zerrissen, es war armes, gedem"utigtes Volk. Als sich der Reisende n"aherte, erhoben sich einige, dr"uckten sich an die Wand und sahen ihm entgegen. "Es ist ein Fremder", fl"usterte es um den Reisenden herum, "er will das Grab ansehen." Sie schoben einen der Tische beiseite, unter dem sich wirklich ein Grabstein befand. Es war ein einfacher Stein, niedrig genug, um unter einem Tisch verborgen werden zu k"onnen. Er trug eine Aufschrift mit sehr kleinen Buchstaben, der Reisende musste, um sie zu lesen, niederknien. Sie lautete: "Hier ruht der alte Kommandant. Seine Anh"anger, die jetzt keinen Namen tragen d"urfen, haben ihm das Grab gegraben und den Stein gesetzt. Es besteht eine Prophezeiung, dass der Kommandant nach einer bestimmten Anzahl von Jahren auferstehen und aus diesem Hause seine Anh"anger zur Wiedereroberung der Kolonie f"uhren wird. Glaubet und wartet! " Als der Reisende das gelesen hatte und sich erhob, sah er rings um sich die M"anner stehen und l"acheln, als h"atten sie mit ihm die Aufschrift gelesen, sie l"acherlich gefunden und forderten ihn auf, sich ihrer Meinung anzuschliessen. Der Reisende tat, als merke er das nicht, verteilte einige M"unzen unter sie, wartete noch, bis der Tisch "uber das Grab geschoben war, verliess das Teehaus und ging zum Hafen.