1915 Кары (сборник)
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Der Offizier fasste sich schnell. "Ich wollte Sie nicht etwa r"uhren", sagte er, "ich weiss, es ist unm"oglich, jene Zeiten heute begreiflich zu machen. Im "ubrigen arbeitet die Maschine noch und wirkt f"ur sich. Sie wirkt f"ur sich, auch wenn sie allein in diesem Tale steht. Und die Leiche f"allt zum Schluss noch immer in dem unbegreiflich sanften Flug in die Grube, auch wenn nicht, wie damals, Hunderte wie Fliegen um die Grube sich versammeln. Damals mussten wir ein starkes Gel"ander um die Grube anbringen, es ist l"angst weggerissen. "
Der Reisende wollte sein Gesicht dem Offizier entziehen und blickte ziellos herum. Der Offizier glaubte, er betrachte die "Ode des Tales; er ergriff deshalb seine H"ande, drehte sich um ihn, um seine Blicke zu fassen, und fragte: "Merken Sie die Schande"
Aber der Reisende schwieg. Der Offizier liess f"ur ein Weilchen von ihm ab; mit auseinandergestellten Beinen, die H"ande in den H"uften, stand er still und blickte zu Boden. Dann l"achelte er dem Reisenden aufmunternd zu und sagte: "Ich war gestern in Ihrer N"ahe, als der Kommandant Sie einlud. Ich h"orte die Einladung. Ich kenne den Kommandanten. Ich verstand sofort, was er mit der Einladung bezweckte. Trotzdem seine Macht gross genug w"are, um gegen mich einzuschreiten, wagt er es noch nicht, wohl aber will er mich Ihrem, dem Urteil eines angesehenen Fremden aussetzen. Seine Berechnung ist sorgf"altig; Sie sind den zweiten Tag auf der Insel, Sie kannten den alten Kommandanten und seinen Gedankenkreis nicht, Sie sind in europ"aischen Anschauungen befangen, vielleicht sind Sie ein grunds"atzlicher Gegner der Todesstrafe im allgemeinen und einer derartigen maschinellen Hinrichtungsart im besonderen, Sie sehen "uberdies, wie die Hinrichtung ohne "offentliche Anteilnahme, traurig, auf einer bereits etwas besch"adigten Maschine vor sich geht – w"are es nun, alles dieses zusammengenommen (so denkt der Kommandant), nicht sehr leicht m"oglich, dass Sie mein Verfahren nicht f"ur richtig halten? Und wenn Sie es nicht f"ur richtig halten, werden Sie dies (ich rede noch immer im Sinne des Kommandanten) nicht verschweigen, denn Sie vertrauen doch gewiss Ihren vielerprobten "Uberzeugungen. Sie haben allerdings viele Eigent"umlichkeiten vieler V"olker gesehen und achten gelernt, Sie werden daher wahrscheinlich sich nicht mit ganzer Kraft, wie Sie es vielleicht in Ihrer Heimat tun w"urden, gegen das Verfahren aussprechen. Aber dessen bedarf der Kommandant gar nicht. Ein fl"uchtiges, ein bloss unvorsichtiges Wort gen"ugt. Es muss gar nicht Ihrer "Uberzeugung entsprechen, wenn es nur scheinbar seinem Wunsche entgegenkommt. Dass er Sie mit aller Schlauheit ausfragen wird, dessen bin ich gewiss. Und seine Damen werden im Kreis herumsitzen und die Ohren spitzen; Sie werden etwa sagen: >Bei uns ist das Gerichtsverfahren ein anderes<, oder >Bei uns wird der Angeklagte vor dem Urteil verh"ort<, oder >Bei uns erf"ahrt der Verurteilte das Urteil<, oder >Bei uns gibt es auch andere Strafen als Todesstrafen<, oder >Bei uns gab es Folterungen nur im Mittelalter<. Das alles sind Bemerkungen, die ebenso richtig sind, als sie Ihnen selbstverst"andlich erscheinen, unschuldige Bemerkungen, die mein Verfahren nicht antasten. Aber wie wird sie der Kommandant aufnehmen? Ich sehe ihn, den guten Kommandanten, wie er sofort den Stuhl beiseite schiebt und auf den Balkon eilt, ich sehe seine Damen, wie sie ihm nachstr"omen, ich h"ore seine Stimme – die Damen nennen sie eine Donnerstimme –, nun, und er spricht: >Ein grosser Forscher des Abendlandes, dazu bestimmt, das Gerichtsverfahren in allen L"andern zu "uberpr"ufen, hat eben gesagt, dass unser Verfahren nach altem Brauch ein unmenschliches ist. Nach diesem Urteil einer solchen Pers"onlichkeit ist es mir nat"urlich nicht mehr m"oglich, dieses Verfahren zu dulden. Mit dem heutigen Tage also ordne ich an – usw. < Sie wollen eingreifen, Sie haben nicht das gesagt, was er verk"undet, Sie haben mein Verfahren nicht unmenschlich genannt, im Gegenteil, Ihrer tiefen Einsicht entsprechend halten Sie es f"ur das menschlichste und menschenw"urdigste, Sie bewundern auch diese Maschinerie – aber es ist zu sp"at; Sie kommen gar nicht auf den Balkon, der schon voll Damen ist; Sie wollen sich bemerkbar machen; Sie wollen schreien; aber eine Damenhand h"alt Ihnen den Mund zu – und ich und das Werk des alten Kommandanten sind verloren. "
Der Reisende musste ein L"acheln unterdr"ucken; so leicht war also die Aufgabe, die er f"ur so schwer gehalten hatte. Er sagte ausweichend: "Sie "ubersch"atzen meinen Einfluss; der Kommandant hat mein Empfehlungsschreiben gelesen, er weiss, dass ich kein Kenner der gerichtlichen Verfahren bin. Wenn ich eine Meinung aussprechen w"urde, so w"are es die Meinung eines Privatmannes, um nichts bedeutender als die Meinung eines beliebigen anderen, und jedenfalls viel bedeutungsloser als die Meinung des Kommandanten, der in dieser Strafkolonie, wie ich zu wissen glaube, sehr ausgedehnte Rechte hat. Ist seine Meinung "uber dieses Verfahren eine so bestimmte, wie Sie glauben, dann, f"urchte ich, ist allerdings das Ende dieses Verfahrens gekommen, ohne dass es meiner bescheidenen Mithilfe bed"urfte. "
Begriff es schon der Offizier? Nein, er begriff noch nicht. Er sch"uttelte lebhaft den Kopf, sah kurz nach dem Verurteilten und dem Soldaten zur"uck, die zusammenzuckten und vom Reis abliessen, ging ganz nahe an den Reisenden heran, blickte ihm nicht ins Gesicht, sondern irgendwohin auf seinen Rock und sagte leiser als fr"uher: "Sie kennen den Kommandanten nicht; Sie stehen ihm und uns allen – verzeihen Sie den Ausdruck – gewissermassen harmlos gegen"uber; Ihr Einfluss, glauben Sie mir, kann nicht hoch genug eingesch"atzt werden. Ich war ja gl"uckselig, als ich h"orte, dass Sie allein der Exekution beiwohnen sollten. Diese Anordnung des Kommandanten sollte mich treffen, nun aber wende ich sie zu meinen Gunsten. Unabgelenkt von falschen Einfl"usterungen und ver"achtlichen Blicken – wie sie bei gr"osserer Teilnahme an der Exekution nicht h"atten vermieden werden k"onnen – haben Sie meine Erkl"arungen angeh"ort, die Maschine gesehen und sind nun im Begriffe, die Exekution zu besichtigen. Ihr Urteil steht gewiss schon fest; sollten noch kleine Unsicherheiten bestehen, so wird sie der Anblick der Exekution beseitigen. Und nun stelle ich an Sie die Bitte: helfen Sie mir gegen"uber dem Kommandanten! "
Der Reisende liess ihn nicht weiter reden. "Wie k"onnte ich denn das", rief er aus, "das ist ganz unm"oglich. Ich kann Ihnen ebensowenig n"utzen als ich Ihnen schaden kann. "
"Sie k"onnen es", sagte der Offizier. Mit einiger Bef"urchtung sah der Reisende, dass der Offizier die F"auste ballte. "Sie k"onnen es", wiederholte der Offizier noch dringender. "Ich habe einen Plan, der gelingen muss. Sie glauben, Ihr Einfluss gen"uge nicht. Ich weiss, dass er gen"ugt. Aber zugestanden, dass Sie recht haben, ist es denn nicht notwendig, zur Erhaltung dieses Verfahrens alles, selbst das m"oglicherweise Unzureichende zu versuchen? H"oren Sie also meinen Plan. Zu seiner Ausf"uhrung ist es vor allem n"otig, dass Sie heute in der Kolonie mit Ihrem Urteil "uber das Verfahren m"oglichst zur"uckhalten. Wenn man Sie nicht geradezu fragt, d"urfen Sie sich keinesfalls "aussern; Ihre "Ausserungen aber m"ussen kurz und unbestimmt sein; man soll merken, dass es Ihnen schwer wird, dar"uber zu sprechen, dass Sie verbittert sind, dass Sie, falls Sie offen reden sollten, geradezu in Verw"unschungen ausbrechen m"ussten. Ich verlange nicht, dass Sie l"ugen sollen; keineswegs; Sie sollen nur kurz antworten, etwa: >Ja, ich habe die Exekution gesehen<, oder >Ja, ich habe alle Erkl"arungen geh"ort<. Nur das, nichts weiter. F"ur die Verbitterung, die man Ihnen anmerken soll, ist ja gen"ugend Anlass, wenn auch nicht im Sinne des Kommandanten. Er nat"urlich wird es vollst"andig missverstehen und in seinem Sinne deuten. Darauf gr"undet sich mein Plan. Morgen findet in der Kommandatur unter dem Vorsitz des Kommandanten eine grosse Sitzung aller h"oheren Verwaltungsbeamten statt. Der Kommandant hat es nat"urlich verstanden, aus solchen Sitzungen eine Schaustellung zu machen. Es wurde eine Galerie gebaut, die mit Zuschauern immer besetzt ist. Ich bin gezwungen an den Beratungen teilzunehmen, aber der Widerwille sch"uttelt mich. Nun werden Sie gewiss auf jeden Fall zu der Sitzung eingeladen werden; wenn Sie sich heute meinem Plane gem"ass verhalten, wird die Einladung zu einer dringenden Bitte werden. Sollten Sie aber aus irgendeinem unerfindlichen Grunde doch nicht eingeladen werden, so m"ussten Sie allerdings die Einladung verlangen; dass Sie sie dann erhalten, ist zweifellos. Nun sitzen Sie also morgen mit den Damen in der Loge des Kommandanten. Er versichert sich "ofters durch Blicke nach oben, dass Sie da sind. Nach verschiedenen gleichg"ultigen, l"acherlichen, nur f"ur die Zuh"orer berechneten Verhandlungsgegenst"anden – meistens sind es Hafenbauten, immer wieder Hafenbauten! – kommt auch das Gerichtsverfahren zur Sprache. Sollte es von seiten des Kommandanten nicht oder nicht bald genug geschehen, so werde ich daf"ur sorgen, dass es geschieht. Ich werde aufstehen und die Meldung von der heutigen Exekution erstatten. Ganz kurz, nur diese Meldung. Eine solche Meldung ist zwar dort nicht "ublich, aber ich tue es doch. Der Kommandant dankt mir, wie immer, mit freundlichem L"acheln und nun, er kann sich nicht zur"uckhalten, erfasst er die gute Gelegenheit. >Es wurde eben<, so oder "ahnlich wird er sprechen, >die Meldung von der Exekution erstattet. Ich m"ochte dieser Meldung nur hinzuf"ugen, dass gerade dieser Exekution der grosse Forscher beigewohnt hat, von dessen unsere Kolonie so ausserordentlich ehrendem Besuch Sie alle wissen. Auch unsere heutige Sitzung ist durch seine Anwesenheit in ihrer Bedeutung erh"oht. Wollen wir nun nicht an diesen grossen Forscher die Frage richten, wie er die Exekution nach altem Brauch und das Verfahren, das ihr vorhergeht, beurteilt? < Nat"urlich "uberall Beifallklatschen, allgemeine Zustimmung, ich bin der lauteste. Der Kommandant verbeugt sich vor Ihnen und sagt: >Dann stelle ich im Namen aller die Frage.< Und nun treten Sie an die Br"ustung. Legen Sie die H"ande f"ur alle sichtbar hin, sonst fassen sie die Damen und spielen mit den Fingern. – Und jetzt kommt endlich Ihr Wort. Ich weiss nicht, wie ich die Spannung der Stunden bis dahin ertragen werde. In Ihrer Rede m"ussen Sie sich keine Schranken setzen, machen Sie mit der Wahrheit L"arm, beugen Sie sich "uber die Br"ustung, br"ullen Sie, aber ja, br"ullen Sie dem Kommandanten Ihre Meinung, Ihre unersch"utterliche Meinung zu. Aber vielleicht wollen Sie das nicht, es entspricht nicht Ihrem Charakter, in Ihrer Heimat verh"alt man sich vielleicht in solchen Lagen anders, auch das ist richtig, auch das gen"ugt vollkommen, stehen Sie gar nicht auf, sagen Sie nur ein paar Worte, fl"ustern Sie sie, dass sie gerade noch die Beamten unter Ihnen h"oren, es gen"ugt, Sie m"ussen gar nicht selbst von der mangelnden Teilnahme an der Exekution, von dem kreischenden Rad, dem zerrissenen Riemen, dem widerlichen Filz reden, nein, alles weitere "ubernehme ich, und glauben Sie, wenn meine Rede ihn nicht aus dem Saale jagt, so wird sie ihn auf die Knie zwingen, dass er bekennen muss: Alter Kommandant, vor dir beuge ich mich. – Das ist mein Plan; wollen Sie mir zu seiner Ausf"uhrung helfen? Aber nat"urlich wollen Sie, mehr als das, Sie m"ussen. " Und der Offizier fasste den Reisenden an beiden Armen und sah ihm schweratmend ins Gesicht. Die letzten S"atze hatte er so geschrien, dass selbst der Soldat und der Verurteilte aufmerksam geworden waren; trotzdem sie nichts verstehen konnten, hielten sie doch im Essen inne und sahen kauend zum Reisenden hin"uber.
Die Antwort, die er zu geben hatte, war f"ur den Reisenden von allem Anfang an zweifellos; er hatte in seinem Leben zu viel erfahren, als dass er hier h"atte schwanken k"onnen; er war im Grunde ehrlich und hatte keine Furcht. Trotzdem z"ogerte er jetzt im Anblick des Soldaten und des Verurteilten einen Atemzug lang. Schliesslich aber sagte er, wie er musste: "Nein. " Der Offizier blinzelte mehrmals mit den Augen, liess aber keinen Blick von ihm. "Wollen Sie eine Erkl"arung?" fragte der Reisende. Der Offizier nickte stumm. "Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens", sagte nun der Reisende, "noch ehe Sie mich ins Vertrauen zogen – dieses Vertrauen werde ich nat"urlich unter keinen Umst"anden missbrauchen – habe ich schon "uberlegt, ob ich berechtigt w"are, gegen dieses Verfahren einzuschreiten und ob mein Einschreiten auch nur eine kleine Aussicht auf Erfolg haben k"onnte. An wen ich mich dabei zuerst wenden m"usste, war mir klar: an den Kommandanten nat"urlich. Sie haben es mir noch klarer gemacht, ohne aber etwa meinen Entschluss erst befestigt zu haben, im Gegenteil, Ihre ehrliche "Uberzeugung geht mir nahe, wenn sie mich auch nicht beirren kann."
Der Offizier blieb stumm, wendete sich der Maschine zu, fasste eine der Messingstangen und sah dann, ein wenig zur"uckgebeugt, zum Zeichner hinauf, als pr"ufe er, ob alles in Ordnung sei. Der Soldat und der Verurteilte schienen sich miteinander befreundet zu haben; der Verurteilte machte, so schwierig dies bei der festen Einschnallung durchzuf"uhren war, dem Soldaten Zeichen; der Soldat beugte sich zu ihm; der Verurteilte fl"usterte ihm etwas zu, und der Soldat nickte.
Der Reisende ging dem Offizier nach und sagte: "Sie wissen noch nicht, was ich tun will. Ich werde meine Ansicht "uber das Verfahren dem Kommandanten zwar sagen, aber nicht in einer Sitzung, sondern unter vier Augen; ich werde auch nicht so lange hier bleiben, dass ich irgendeiner Sitzung beigezogen werden k"onnte; ich fahre schon morgen fr"uh weg oder schiffe mich wenigstens ein. "
Es sah nicht aus, als ob der Offizier zugeh"ort h"atte. "Das Verfahren hat Sie also nicht "uberzeugt", sagte er f"ur sich und l"achelte, wie ein Alter "uber den Unsinn eines Kindes l"achelt und hinter dem L"acheln sein eigenes wirkliches Nachdenken
beh"alt.
"Dann ist es also Zeit", sagte er schliesslich und blickte pl"otzlich mit hellen Augen, die irgendeine Aufforderung, irgendeinen Aufruf zur Beteiligung enthielten, den Reisenden an.
"Wozu ist es Zeit?" fragte der Reisende unruhig, bekam aber keine Antwort.
"Du bist frei", sagte der Offizier zum Verurteilten in dessen Sprache. Dieser glaubte es zuerst nicht. "Nun, frei bist du", sagte der Offizier. Zum erstenmal bekam das Gesicht des Verurteilten wirkliches Leben. War es Wahrheit? War es nur eine Laune des Offiziers, die vor"ubergehen konnte? Hatte der fremde Reisende ihm Gnade erwirkt? Was war es?. So schien sein Gesicht zu fragen. Aber nicht lange. Was immer es sein mochte, er wollte, wenn er durfte, wirklich frei sein und er begann sich zu r"utteln, soweit es die Egge erlaubte.
"Du zerreisst mir die Riemen", schrie der Offizier, "sei ruhig! Wir "offnen sie schon. " Und er machte sich mit dem Soldaten, dem er ein Zeichen gab, an die Arbeit. Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin, bald wendete er das Gesicht links zum Offizier, bald rechts zum Soldaten, auch den Reisenden vergass er nicht.
"Zieh ihn heraus", befahl der Offizier dem Soldaten. Es musste hiebei wegen der Egge einige Vorsicht angewendet werden. Der Verurteilte hatte schon infolge seiner Ungeduld einige kleine Risswunden auf dem R"ucken.