Немецкий язык с Генрихом Бёллем. Хлеб ранних лет
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7 „Ich weiß", sagte ich, „was Sie nicht dulden, aber ich sage Ihnen, ich kenne das Mädchen nicht."
8 „Schön", sagte sie, und ich hasste sie ihres Grinsens wegen, „ich frage ja nur, weil ich bei Verlobten hin und wieder eine Ausnahme mache."
9 „Mein Gott", sagte ich, „auch noch verlobt. Bitte beruhigen Sie sich." Aber sie schien nicht beruhigt zu sein.
1 Ich kam ein paar Minuten zu spät zum Bahnhof (я опоздал на вокзал на несколько минут; zu spät kommen — опаздывать, spät — поздний), und während ich den Groschen in den Automaten für die Bahnsteigkarte warf (и пока я бросал грош /монету в десять пфеннигов/ в автомат для перронного билета = перронных билетов; der Bahnsteig — перрон, die Karte — билет; werfen-warf-geworfen), versuchte ich (я пытался), mich an das Mädchen zu erinnern (вспомнить девушку; sich erinnern), das damals „Suweija" gesungen hatte (которая пела «Зувейя» тогда), als ich die neusprachlichen Arbeitshefte durch den dunklen Flur in Mullers Zimmer trug (когда я носил тёмным коридором в комнату Муллера рабочие тетради по иностранному языку; tragen-trug-getragen). Ich stellte mich an die Treppe zum Bahnsteig (я встал к лестнице на перрон; sich stellen) und dachte (и думал; denken-dachte-gedacht): blond, zwanzig Jahre, kommt in die Stadt, um Lehrerin zu werden, als ich die Leute (когда я людей), die an mir vorübergingen (которые проходили мимо меня; vorübergehen), musterte (разглядывал), schien es mir (мне казалось), als sei die Welt voller blonder zwanzigjähriger Mädchen (будто мир полон светловолосых двадцатилетних девушек) — so viele kamen von diesem Zug her (так много подходило /их/ с этого поезда; herkommen), und sie alle hatten Koffer in der Hand und sahen aus (и выглядели; aussehen), als kämen sie in die Stadt (будто
2 Dieses Gesicht ging tief in mich hinein (это лицо глубоко вошло в меня; hineingehen), drang durch und hindurch (проникло и прошло насквозь; durchdringen, dringen-drang-gedrungen) wie ein Prägstock (как инструмент для чеканки; prägen — чеканить, der Stock — палка), der statt auf Silberbarren auf Wachs stößt (который вместо серебряного слитка наталкивается на воск; das Silber — серебро, der Barren — слиток; das Wachs; stoßen — толкать), und es war, als würde ich durchbohrt ohne zu bluten (как будто бы меня бескровно просверливают; bluten — кровоточить), ich hatte für einen wahnsinnigen Augenblick lang den Wunsch (на какое-то безумное мгновение у меня было желание), dieses Gesicht zu zerstören (это лицо разрушить), wie der Maler den Stein (как художник /хочет разрушить/ камень), von dem er nur einen einzigen Abdruck genommen hat (с которого он получил только один единственный отпечаток; nehmen-nahm-genommen).
3 Ich ließ die Zigarette fallen (я уронил сигарету; fallen lassen, lassen-ließ-gelassen) und lief die sechs Schritte (и пробежал эти шесть шагов; laufen-lief-gelaufen; der Schritt), die die Breite der Treppe ausmachen (которые составляют ширину лестницы). Meine Angst war weg (мой страх исчез), als ich vor ihr stand (когда я стоял = оказался перед ней). Ich sagte: „Kann ich etwas für Sie tun (могу ли я для Вас что-нибудь сделать)?"
4 Sie lächelte, nickte und sagte (она улыбнулась, кивнула и сказала): „O ja, Sie können mir sagen, wo die Judengasse ist (где находится Юденгассе)."
5 „Judengasse", sagte ich, und es war mir, wie wenn ich im Traum meinen Namen rufen hörte (как будто я во сне услышал, как меня зовут по имени), ohne ihn als meinen Namen zu erkennen (без того, чтобы узнать своё имя = не узнавая своего имени); ich war nicht bei mir (я был не в себе), und es schien mir (и мне казалось), als begriffe ich (я понял; begreifen), was es heißt (что это /и/ называется), nicht bei sich zu sein (быть не в себе).
6 „Judengasse", sagte ich, „ja, Judengasse. Kommen Sie." Ich sah ihr zu (я смотрел на неё; zusehen), wie sie aufstand (как она встала; aufstehen), ein wenig erstaunt den schweren Koffer nahm (немного удивлённая, взяла тяжёлый чемодан), und ich war zu benommen (и я был слишком оглушённый; benehmen — лишать), daran zu denken (/чтобы/ подумать о том), dass ich ihn hätte tragen müssen (что я его /чемодан/ должен был бы нести); weit entfernt war ich von den beiläufigen Höflichkeiten (далеко удалён = слишком далёк я был от поверхностной = обычной учтивости; höflich — вежливый; beiläufig — сопутствующий; поверхностный). Die Erkenntnis (осознание), die ich in diesem Augenblick noch gar nicht vollzog (которое я в этот момент ещё не совсем совершил; vollziehen, ziehen-zog-gezogen — тянуть), die Erkenntnis, dass sie Hedwig Muller war (/того,/ что она была Хедвиг Муллер), die mir (которое ко мне) wie eine selbstverständliche hätte kommen müssen (должно бы было прийти как /нечто/ само собой разумеющееся), als sie „Judengasse" sagte, machte mich fast irre (сделало меня почти безумным). Irgend etwas war verwechselt (что-то было перепутано) oder durcheinandergeraten (или нарушено, приведено в беспорядок: durcheinander — вперемешку, geraten-geriet-geraten — попадать/вкакую-либоситуацию/): ich war so sicher (я был так уверен), Mullers Tochter sei blond (что дочь Муллера — блондинка), sie sei eine von den unzähligen blonden Lehramtskandidatinnen (она — одна из бесчисленных светловолосых кандидаток на учительскую должность), die an mir vorbeigegangen waren (которые прошли мимо меня), dass ich dieses Mädchen nicht mit ihr identifizieren konnte (что я не мог эту девушку с ней отождествить), und heute noch kommen mir oft Zweifel (и сегодня ещё приходят ко мне часто сомнения; der Zweifel), ob sie Hedwig Muller ist (Хедвиг ли она), und ich nenne diesen Namen nur zögernd (и я называю это имя лишь нерешительно), weil mir scheint (так как мне кажется), ich müsse den ihren erst finden (что я должен был бы её имя = имя для неё сперва найти). „Ja, ja", sagte ich auf ihren fragenden Blick (на её вопросительный взгляд), „kommen Sie nur", und ich ließ sie mit dem schweren Koffer vorangehen (и я пропустил её с тяжёлым чемоданом вперед) und folgte ihr zur Sperre (и следовал за ней к заграждению /к проходу/).
1 Ich kam ein paar Minuten zu spät zum Bahnhof, und während ich den Groschen in den Automaten für die Bahnsteigkarte warf, versuchte ich, mich an das Mädchen zu erinnern, das damals „Suweija" gesungen hatte, als ich die neusprachlichen Arbeitshefte durch den dunklen Flur in Mullers Zimmer trug. Ich stellte mich an die Treppe zum Bahnsteig und dachte: blond, zwanzig Jahre, kommt in die Stadt, um Lehrerin zu werden, als ich die Leute, die an mir vorübergingen, musterte, schien es mir, als sei die Welt voller blonder zwanzigjähriger Mädchen — so viele kamen von diesem Zug her, und sie alle hatten Koffer in der Hand und sahen aus, als kämen sie in die Stadt, um Lehrerin zu werden. Ich war zu müde, um eine von ihnen anzusprechen, steckte eine Zigarette an und ging auf die andere Seite des Aufgangs, und ich sah, dass hinter dem Geländer ein Mädchen auf einem Koffer hockte, ein Mädchen, das die ganze Zeit über hinter mir gesessen haben musste: sie hatte dunkles Haar, und ihr Mantel war so grün wie Gras, das in einer warmen Regennacht geschossen ist, er war so grün, dass mir schien, er müsse nach Gras riechen; ihr Haar war dunkel, wie Schieferdächer nach einem Regen sind, ihr Gesicht weiß, fast grellweiß wie frische Tünche, durch die es ockerfarben schimmerte. Ich dachte, sie sei geschminkt, aber sie war es nicht. — Ich sah nur diesen grellgrünen Mantel, sah dieses Gesicht, und ich hatte plötzlich Angst, jene Angst, die Entdecker empfinden, wenn sie das neue Land betreten haben, wissend, dass eine andere Expedition unterwegs ist, die vielleicht die Flagge schon gesteckt,schon Besitz ergriffen hat; Entdecker, die fürchten müssen, die Qual der langen Reise, alle Strapazen, das Spiel auf Leben und Tod könnte umsonst gewesen sein.
2 Dieses Gesicht ging tief in mich hinein, drang durch und hindurch wie ein Prägstock, der statt auf Silberbarren auf Wachs stößt, und es war, als würde ich durchbohrt ohne zu bluten, ich hatte für einen wahnsinnigen Augenblick lang den Wunsch, dieses Gesicht zu zerstören, wie der Maler den Stein, von dem er nur einen einzigen Abdruck genommen hat.
3 Ich ließ die Zigarette fallen und lief die sechs Schritte, die die Breite der Treppe ausmachen. Meine Angst war weg, als ich vor ihr stand. Ich sagte: „Kannich etwas für Sie tun?"
4 Sie lächelte, nickte und sagte: „O ja, Sie können mir sagen, wo die Judengasse ist."
5 „Judengasse", sagte ich, und es war mir, wie wenn ich im Traum meinen Namen rufen hörte, ohne ihn als meinen Namen zu erkennen; ich war nicht bei mir, und es schien mir, als begriffe ich, was es heißt, nicht bei sich zu sein.
6 „Judengasse", sagte ich, „ja, Judengasse. Kommen Sie." Ich sah ihr zu, wie sie aufstand, ein wenig erstaunt den schweren Koffer nahm, und ich war zu benommen, daran zu denken, dass ich ihn hätte tragen müssen; weit entfernt war ich von den beiläufigen Höflichkeiten. Die Erkenntnis, die ich in diesem Augenblick noch gar nicht vollzog, die Erkenntnis, dass sie Hedwig Muller war, die mir wie eine selbstverständliche hätte kommen müssen, als sie „Judengasse" sagte, machte mich fast irre. Irgend etwas war verwechselt oder durcheinandergeraten: ich war so sicher, Mullers Tochter sei blond, sie sei eine vonden unzähligen blonden Lehramtskandidatinnen, die an mir vorbeigegangen waren, dass ich dieses Mädchen nicht mit ihr identifizieren konnte, und heute noch kommen mir oft Zweifel, ob sie Hedwig Muller ist, und ich nenne diesen Namen nur zögernd, weil mir scheint, ich müsse den ihren erst finden. „Ja, ja", sagte ich auf ihren fragenden Blick, „kommen Sie nur", und ich ließ sie mit dem schweren Koffer vorangehen und folgte ihr zur Sperre.
1 In dieser halben Minute (в
1 In dieser halben Minute, in der ich hinter ihr herging, dachte ich daran, dass ich sie besitzen würde, und dass ich, um sie zu besitzen, alles zerstören würde, was mich daran hindern könnte. Ich sah mich Waschmaschinen zertrümmern, sie mit einem zehnpfündigen Hammer zusammenschlagen. Ich blickte auf Hedwigs Rücken, ihren Hals, ihre Hände, die blutleer waren vom Tragen des schweren Koffers. Ich war eifersüchtig auf den Bahnbeamten, der ihre Hand einen Augenblick berührte, als sie ihm die Sechserkarte hinhielt, — eifersüchtig auf den Boden des Bahnhofs, auf den sie mit ihren Füßen trat. Ich dachte erst daran, ihr den Koffer abzunehmen, als wir fast den Ausgang erreicht hatten. „Verzeihen Sie", sagte ich, sprang neben sie und nahm ihr den Koffer aus der Hand. „Es ist nett", sagte sie, „dass Sie gekommen sind, mich abzuholen." — „Mein Gott", sagte ich, „kennen Sie mich?" — „Natürlich", sagte sie lachend, „Ihr Bild steht doch auf dem Schreibtisch Ihres Vaters." — „Sie kennen meinen Vater?" — „Ja", sagte sie, „ich hatte Unterricht bei ihm." Ich schob den Koffer hinten ins Auto, stellte ihre Tasche daneben und half ihr beim Einsteigen, und so hielt ich zum erstenmal ihre Hand und ihren Ellenbogen: es war ein runder, kräftiger Ellenbogen und eine große, aber leichte Hand; trocken war die Hand und kühl — und als ich um das Auto herum auf dieandere Seite ging, um mich ans Steuer zu setzen, blieb ich vorne vor dem Kühler stehen, öffnete die Haube und tat so, als blicke ich ins Auto; aber ich blickte sie an, die hinter der Scheibe saß: ich hatte Angst, nicht mehr die Angst, dass jemand anders sie entdecken und erobern könnte, diese Angst war weg, denn ich würde nicht mehr von ihrer Seite weichen, an diesem Tage nicht und nicht in den vielen Tagen, die kommen würden, diese Tage alle, deren Summe Leben heißt. Es war eine andere Angst, die Angst vor dem, was kommen würde: der Zug, in den ich hatte einsteigen wollen, stand abfahrbereit, er stand unter Dampf, die Mitreisenden waren schon eingestiegen, das Signal schon hochgezogen, und der Mann mit der roten Mütze hatte die Kelle schon erhoben und alles wartete nur darauf, dass ich, der ich schon auf dem Trittbrett stand, schnell noch ganz einsteigen würde, aber in diesem Augenblick war ich schon abgesprungen. Ich dachte an die vielen offenen Aussprachen, die ich würde ertragen müssen, und ich wusste jetzt, dass ich offene Aussprachen immer gehasst hatte: endloses, sinnloses Geschwätz und das sinnlose Abwägen von Schuld und Unschuld, Vorwürfe, Gezeter, Anrufe, Briefe, Schuld, die ich auf mich laden würde — Schuld, die ich schon hatte. Ich sah das andere, das ganz passable Leben weiterlaufen, wie eine komplizierte Maschine, für jemanden aufgestellt, der nicht mehr da war: Ich war nicht mehr da, — Schrauben lockerten sich, Kolben wurden glühend, Blechteile flogen durch die Luft, und es roch brandig.