1915 Кары (сборник)
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So beschr"ankte sich Georg darauf, dem Freund immer nur "uber bedeutungslose Vorf"alle zu schreiben, wie sie sich, wenn man an einem ruhigen Sonntag nachdenkt, in der Erinnerung ungeordnet aufh"aufen. Er wollte nichts anderes, als die Vorstellung ungest"ort lassen, die sich der Freund von der Heimatstadt in der langen Zwischenzeit wohl gemacht und mit welcher er sich abgefunden hatte. So geschah es Georg, dass er dem Freund die Verlobung eines gleichg"ultigen Menschen mit einem ebenso gleichg"ultigen M"adchen dreimal in ziemlich weit auseinanderliegenden Briefen anzeigte, bis sich dann allerdings der Freund, ganz gegen Georgs Absicht, f"ur diese Merkw"urdigkeit zu interessieren begann.
Georg schrieb ihm aber solche Dinge viel lieber, als dass er zugestanden h"atte, dass er selbst vor einem Monat mit einem Fr"aulein Frieda Brandenfeld, einem M"adchen aus wohlhabender Familie, sich verlobt hatte. Oft sprach er mit seiner Braut "uber diesen Freund und das besondere Korrespondenzverh"altnis, in welchem er zu ihm stand. "Er wird also gar nicht zu unserer Hochzeit kommen", sagte sie, "und ich habe doch das Recht, alle deine Freunde kennenzulernen." "Ich will ihn nicht st"oren", antwortete Georg, "verstehe mich recht, er w"urde wahrscheinlich kommen, wenigstens glaube ich es, aber er w"urde sich gezwungen und gesch"adigt f"uhlen, vielleicht mich beneiden und sicher unzufrieden und unf"ahig, diese Unzufriedenheit jemals zu beseitigen, allein wieder zur"uckfahren. Allein – weisst du, was das ist" "Ja, kann er denn von unserer Heirat nicht auch auf andere Weise erfahren?" "Das kann ich allerdings nicht verhindern, aber es ist bei seiner Lebensweise unwahrscheinlich. " "Wenn du solche Freunde hast, Georg, h"attest du dich "uberhaupt nicht verloben sollen. " "Ja, das ist unser beider Schuld; aber ich wollte es auch jetzt nicht anders haben." Und wenn sie dann, rasch atmend unter seinen K"ussen, noch vorbrachte: "Eigentlich kr"ankt es mich doch", hielt er es wirklich f"ur unverf"anglich, dem Freund alles zu schreiben. "So bin ich und so hat er mich hinzunehmen", sagte er sich, "ich kann nicht aus mir einen Menschen herausschneiden, der vielleicht f"ur die Freundschaft mit ihm geeigneter w"are, als ich es bin. "
Und tats"achlich berichtete er seinem Freunde in dem langen Brief, den er an diesem Sonntagvormittag schrieb, die erfolgte Verlobung mit folgenden Worten: "Die beste Neuigkeit habe ich mir bis zum Schluss aufgespart. Ich habe mich mit einem Fr"aulein Frieda Brandenfeld verlobt, einem M"adchen aus einer wohlhabenden Familie, die sich hier erst lange nach Deiner Abreise angesiedelt hat, die Du also kaum kennen d"urftest. Es wird sich noch Gelegenheit finden, Dir N"aheres "uber meine Braut mitzuteilen, heute gen"uge Dir, dass ich recht gl"ucklich bin und dass sich in unserem gegenseitigen Verh"altnis nur insofern etwas ge"andert hat, als Du jetzt in mir statt eines ganz gew"ohnlichen Freundes einen gl"ucklichen Freund haben wirst. Ausserdem bekommst Du in meiner Braut, die Dich herzlich gr"ussen l"asst, und die Dir n"achstens selbst schreiben wird, eine aufrichtige Freundin, was f"ur einen Junggesellen nicht ganz ohne Bedeutung ist. Ich weiss, es h"alt Dich vielerlei von einem Besuche bei uns zur"uck. W"are aber nicht gerade meine Hochzeit die richtige Gelegenheit, einmal alle Hindernisse "uber den Haufen zu werfen? Aber wie dies auch sein mag, handle ohne alle R"ucksicht und nur nach Deiner Wohlmeinung. "
Mit diesem Brief in der Hand war Georg lange, das Gesicht dem Fenster zugekehrt, an seinem Schreibtisch gesessen. Einem Bekannten, der ihn im Vor"ubergehen von der Gasse aus gegr"usst hatte, hatte er kaum mit einem abwesenden L"acheln geantwortet.
Endlich steckte er den Brief in die Tasche und ging aus seinem Zimmer quer durch einen kleinen Gang in das Zimmer seines Vaters, in dem er schon seit Monaten nicht gewesen war. Es bestand auch sonst keine N"otigung dazu, denn er verkehrte mit seinem Vater st"andig im Gesch"aft. Das Mittagessen nahmen sie gleichzeitig in einem Speisehaus ein, abends versorgte sich zwar jeder nach Belieben; doch sassen sie dann noch ein Weilchen, meistens jeder mit seiner Zeitung, im gemeinsamen Wohnzimmer, wenn nicht Georg, wie es am h"aufigsten geschah, mit Freunden beisammen war oder jetzt seine Braut besuchte.
Georg staunte dar"uber, wie dunkel das Zimmer des Vaters selbst an diesem sonnigen Vormittag war. Einen solchen Schatten warf also die hohe Mauer, die sich jenseits des schmalen Hofes erhob. Der Vater sass beim Fenster in einer Ecke, die mit verschiedenen Andenken an die selige Mutter ausgeschm"uckt war, und las die Zeitung, die er seitlich vor die Augen hielt, wodurch er irgend eine Augenschw"ache auszugleichen suchte. Auf dem Tisch standen die Reste des Fr"uhst"ucks, von dem nicht viel verzehrt zu sein schien.
"Ah, Georg! " sagte der Vater und ging ihm gleich entgegen. Sein schwerer Schlafrock "offnete sich im Gehen, die Enden umflatterten ihn – "mein Vater ist noch immer ein Riese", dachte sich Georg.
"Hier ist es ja unertr"aglich dunkel", sagte er dann.
"Ja, dunkel ist es schon", antwortete der Vater.
"Das Fenster hast du auch geschlossen?"
"Ich habe es lieber so. "
"Es ist ja ganz warm draussen", sagte Georg, wie im Nachhang zu dem Fr"uheren, und setzte sich.
Der Vater r"aumte das Fr"uhst"ucksgeschirr ab und stellte es auf einen Kasten.
"Ich wollte dir eigentlich nur sagen", fuhr Georg fort, der den Bewegungen des alten Mannes ganz verloren folgte, "dass ich nun doch nach Petersburg meine Verlobung angezeigt habe. " Er zog den Brief ein wenig aus der Tasche und liess ihn wieder zur"uckfallen.
"Nach Petersburg?" fragte der Vater.
"Meinem Freunde doch", sagte Georg und suchte des Vaters Augen. – "Im Gesch"aft ist er doch ganz anders", dachte er, "wie er hier breit sitzt und die Arme "uber der Brust kreuzt. "
"Ja. Deinem Freunde", sagte der Vater mit Betonung.
"Du weisst doch, Vater, dass ich ihm meine Verlobung zuerst verschweigen wollte. Aus R"ucksichtnahme, aus keinem anderen Grunde sonst. Du weisst selbst, er ist ein schwieriger Mensch. Ich sagte mir, von anderer Seite kann er von meiner Verlobung wohl erfahren, wenn das auch bei seiner einsamen Lebensweise kaum wahrscheinlich ist – das kann ich nicht hindern –, aber von mir selbst soll er es nun einmal nicht erfahren. "
"Und jetzt hast du es dir wieder anders "uberlegt?" fragte der Vater, legte die grosse Zeitung auf den Fensterbord und auf die Zeitung die Brille, die er mit der Hand bedeckte.
"Ja, jetzt habe ich es mir wieder "uberlegt. Wenn er mein guter Freund ist, sagte ich mir, dann ist meine gl"uckliche Verlobung auch f"ur ihn ein Gl"uck. Und deshalb habe ich nicht mehr gez"ogert, es ihm anzuzeigen. Ehe ich jedoch den Brief einwarf, wollte ich es dir sagen. "
"Georg", sagte der Vater und zog den zahnlosen Mund in die Breite, "h"or’ einmal! Du bist wegen dieser Sache zu mir gekommen, um dich mit mir zu beraten. Das ehrt dich ohne Zweifel. Aber es ist nichts, es ist "arger als nichts, wenn du mir jetzt nicht die volle Wahrheit sagst. Ich will nicht Dinge aufr"uhren, die nicht hierher geh"oren. Seit dem Tode unserer teueren Mutter sind gewisse unsch"one Dinge vorgegangen. Vielleicht kommt auch f"ur sie die Zeit und vielleicht kommt sie fr"uher, als wir denken. Im Gesch"aft entgeht mir manches, es wird mir vielleicht nicht verborgen – ich will jetzt gar nicht die Annahme machen, dass es mir verborgen wird –, ich bin nicht mehr kr"aftig genug, mein Ged"achtnis l"asst nach. Ich habe nicht mehr den Blick f"ur alle die vielen Sachen. Das ist erstens der Ablauf der Natur, und zweitens hat mich der Tod unseres M"utterchens viel mehr niedergeschlagen als dich. – Aber weil wir gerade bei dieser Sache sind, bei diesem Brief, so bitte ich dich Georg, t"ausche mich nicht. Es ist eine Kleinigkeit, es ist nicht des Atems wert, also t"ausche mich nicht. Hast du wirklich diesen Freund in Petersburg?"
Georg stand verlegen auf. "Lassen wir meine Freunde sein. Tausend Freunde ersetzen mir nicht meinen Vater. Weisst du, was ich glaube? Du schonst dich nicht genug. Aber das Alter verlangt seine Rechte. Du bist mir im Gesch"aft unentbehrlich, das weisst du ja sehr genau; aber wenn das Gesch"aft deine Gesundheit bedrohen sollte, sperre ich es noch morgen f"ur immer. Das geht nicht. Wir m"ussen da eine andere Lebensweise f"ur dich einf"uhren. Aber von Grund aus. Du sitzt hier im Dunkel, und im Wohnzimmer h"attest du sch"ones Licht. Du nippst vom Fr"uhst"uck, statt dich ordentlich zu st"arken. Du sitzt bei geschlossenem Fenster, und die Luft w"urde dir so gut tun. Nein Vater! Ich werde den Arzt holen und seine Vorschriften werden wir befolgen. Die Zimmer werden wir wechseln, du wirst ins Vorderzimmer ziehen, ich hierher. Es wird keine Ver"anderung f"ur dich sein, alles wird mit hin"ubergetragen. Aber das alles hat Zeit, jetzt lege dich noch ein wenig ins Bett, du brauchst unbedingt Ruhe. Komm, ich werde dir beim Ausziehn helfen, du wirst sehen, ich kann es. Oder willst du gleich ins Vorderzimmer gehn, dann legst du dich vorl"aufig in mein Bett. Das w"are "ubrigens sehr vern"unftig. "