1915 Кары (сборник)
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Georg stand knapp neben seinem Vater, der den Kopf mit dem struppigen weissen Haar auf die Brust hatte sinken lassen.
"Georg", sagte der Vater leise, ohne Bewegung.
Georg kniete sofort neben dem Vater nieder, er sah die Pupillen in dem m"uden Gesicht des Vaters "ubergross in den Winkeln der Augen auf sich gerichtet.
"Du hast keinen Freund in Petersburg. Du bist immer ein Spassmacher gewesen und hast dich auch mir gegen"uber nicht zur"uckgehalten. Wie solltest du denn gerade dort einen Freund haben! Das kann ich gar nicht glauben. "
"Denk doch noch einmal nach, Vater", sagte Georg, hob den Vater vom Sessel und zog ihm, wie er nun doch recht schwach dastand, den Schlafrock aus, "jetzt wird es bald drei Jahre her sein, da war ja mein Freund bei uns zu Besuch. Ich erinnere mich noch, dass du ihn nicht besonders gern hattest. Wenigstens zweimal habe ich ihn vor dir verleugnet, trotzdem er gerade bei mir im Zimmer sass. Ich konnte ja deine Abneigung gegen ihn ganz gut verstehn, mein Freund hat seine Eigent"umlichkeiten. Aber dann hast du dich doch auch wieder ganz gut mit ihm unterhalten. Ich war damals noch so stolz darauf, dass du ihm zuh"ortest, nicktest und fragtest. Wenn du nachdenkst, musst du dich erinnern. Er erz"ahlte damals unglaubliche Geschichten von der russischen Revolution. Wie er z. B. auf einer Gesch"aftsreise in Kiew bei einem Tumult einen Geistlichen auf einem Balkon gesehen hatte, der sich ein breites Blutkreuz in die flache Hand schnitt, diese Hand erhob und die Menge anrief. Du hast ja selbst diese Geschichte hie und da wiedererz"ahlt. "
W"ahrenddessen war es Georg gelungen, den Vater wieder niederzusetzen und ihm die Trikothose, die er "uber den Leinenunterhosen trug, sowie die Socken vorsichtig auszuziehn. Beim Anblick der nicht besonders reinen W"asche machte er sich Vorw"urfe, den Vater vernachl"assigt zu haben. Es w"are sicherlich auch seine Pflicht gewesen, "uber den W"aschewechsel seines Vaters zu wachen. Er hatte mit seiner Braut dar"uber noch nicht ausdr"ucklich gesprochen, wie sie die Zukunft des Vaters einrichten wollten, aber sie hatten stillschweigend vorausgesetzt, dass der Vater allein in der alten Wohnung bleiben w"urde. Doch jetzt entschloss er sich kurz mit aller Bestimmtheit, den Vater in seinen k"unftigen Haushalt mitzunehmen. Es schien ja fast, wenn man genauer zusah, dass die Pflege, die dort dem Vater bereitet werden sollte, zu sp"at kommen k"onnte.
Auf seinen Armen trug er den Vater ins Bett. Ein schreckliches Gef"uhl hatte er, als er w"ahrend der paar Schritte zum Bett hin merkte, dass an seiner Brust der Vater mit seiner Uhrkette spiele. Er konnte ihn nicht gleich ins Bett legen, so fest hielt er sich an dieser Uhrkette.
Kaum war er aber im Bett, schien alles gut. Er deckte sich selbst zu und zog dann die Bettdecke noch besonders weit "uber die Schulter. Er sah nicht unfreundlich zu Georg hinauf.
"Nicht wahr, du erinnerst dich schon an ihn?" fragte Georg und nickte ihm aufmunternd zu.
"Bin ich jetzt gut zugedeckt?" fragte der Vater, als k"onne er nicht nachschauen, ob die F"usse genug bedeckt seien.
"Es gef"allt dir also schon im Bett", sagte Georg und legte das Deckzeug besser um ihn.
"Bin ich gut zugedeckt?" fragte der Vater noch einmal und schien auf die Antwort besonders aufzupassen.
"Sei nur ruhig, du bist gut zugedeckt. "
"Nein! " rief der Vater, dass die Antwort an die Frage stiess, warf die Decke zur"uck mit einer Kraft, dass sie einen Augenblick im Fluge sich ganz entfaltete, und stand aufrecht im Bett. Nur eine Hand hielt er leicht an den Plafond. "Du wolltest mich zudecken, das weiss ich, mein Fr"uchtchen, aber zugedeckt bin ich noch nicht. Und ist es auch die letzte Kraft, genug f"ur dich, zuviel f"ur dich! Wohl kenne ich deinen Freund. Er w"are ein Sohn nach meinem Herzen. Darum hast du ihn auch betrogen die ganzen Jahre lang. Warum sonst? Glaubst du, ich habe nicht um ihn geweint? Darum doch sperrst du dich in dein Bureau, niemand soll st"oren, der Chef ist besch"aftigt – nur damit du deine falschen Briefchen nach Russland schreiben kannst. Aber den Vater muss gl"ucklicherweise niemand lehren, den Sohn zu durchschauen. Wie du jetzt geglaubt hast, du h"attest ihn untergekriegt, so untergekriegt, dass du dich mit deinem Hintern auf ihn setzen kannst und er r"uhrt sich nicht, da hat sich mein Herr Sohn zum Heiraten entschlossen! "
Georg sah zum Schreckbild seines Vaters auf. Der Petersburger Freund, den der Vater pl"otzlich so gut kannte, ergriff ihn, wie noch nie. Verloren im weiten Russland sah er ihn. An der T"ure des leeren, ausgeraubten Gesch"aftes sah er ihn. Zwischen den Tr"ummern der Regale, den zerfetzten Waren, den fallenden Gasarmen stand er gerade noch. Warum hatte er so weit wegfahren m"ussen!
"Aber schau mich an! " rief der Vater, und Georg lief, fast zerstreut, zum Bett, um alles zu fassen, stockte aber in der Mitte des Weges.
"Weil sie die R"ocke gehoben hat", fing der Vater zu fl"oten an, "weil sie die R"ocke so gehoben hat, die widerliche Gans", und er hob, um das darzustellen, sein Hemd so hoch, dass man auf seinem Oberschenkel die Narbe aus seinen Kriegsjahren sah, "weil sie die R"ocke so und so und so gehoben hat, hast du dich an sie herangemacht, und damit du an ihr ohne St"orung dich befriedigen kannst, hast du unserer Mutter Andenken gesch"andet, den Freund verraten und deinen Vater ins Bett gesteckt, damit er sich nicht r"uhren kann. Aber kann er sich r"uhren oder nicht? "
Und er stand vollkommen frei und warf die Beine. Er strahlte vor Einsicht.
Georg stand in einem Winkel, m"oglichst weit vom Vater. Vor einer langen Weile hatte er sich fest entschlossen, alles vollkommen genau zu beobachten, damit er nicht irgendwie auf Umwegen, von hinten her, von oben herab "uberrascht werden k"onne. Jetzt erinnerte er sich wieder an den l"angst vergessenen Entschluss und vergass ihn, wie man einen kurzen Faden durch ein Nadel"ohr zieht.
"Aber der Freund ist nun doch nicht verraten! " rief der Vater, und sein hin- und herbewegter Zeigefinger bekr"aftigte es. "Ich war sein Vertreter hier am Ort. "
"Kom"odiant! " konnte sich Georg zu rufen nicht enthalten, erkannte sofort den Schaden und biss, nur zu sp"at, – die Augen erstarrt – in seine Zunge, dass er vor Schmerz einknickte.
"Ja, freilich habe ich Kom"odie gespielt! Kom"odie! Gutes Wort! Welcher andere Trost blieb dem alten verwitweten Vater? Sag – und f"ur den Augenblick der Antwort sei du noch mein lebender Sohn –, was blieb mir "ubrig, in meinem Hinterzimmer, verfolgt vom ungetreuen Personal, alt bis in die Knochen? Und mein Sohn ging im Jubel durch die Welt, schloss Gesch"afte ab, die ich vorbereitet hatte, "uberpurzelte sich vor Vergn"ugen und ging vor seinem Vater mit dem verschlossenen Gesicht eines Ehrenmannes davon! Glaubst du, ich h"atte dich nicht geliebt, ich, von dem du ausgingst?"
"Jetzt wird er sich vorbeugen", dachte Georg, "wenn er fiele und zerschmetterte!" Dieses Wort durchzischte seinen Kopf.
Der Vater beugte sich vor, fiel aber nicht. Da Georg sich nicht n"aherte, wie er erwartet hatte, erhob er sich wieder.
"Bleib, wo du bist, ich brauche dich nicht! Du denkst, du hast noch die Kraft, hierher zu kommen und h"altst dich bloss zur"uck, weil du so willst. Dass du dich nicht irrst! Ich bin noch immer der viel St"arkere. Allein h"atte ich vielleicht zur"uckweichen m"ussen, aber so hat mir die Mutter ihre Kraft abgegeben, mit deinem Freund habe ich mich herrlich verbunden, deine Kundschaft habe ich hier in der Tasche! "