1915 Кары (сборник)
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"Sogar im Hemd hat er Taschen!" sagte sich Georg und glaubte, er k"onne ihn mit dieser Bemerkung in der ganzen Welt unm"oglich machen. Nur einen Augenblick dachte er das, denn immerfort vergass er alles.
"H"ang dich nur in deine Braut ein und komm mir entgegen! Ich fege sie dir von der Seite weg, du weisst nicht wie! "
Georg machte Grimassen, als glaube er das nicht. Der Vater nickte bloss, die Wahrheit dessen beteuernd, was er sagte, in Georgs Ecke hin.
"Wie hast du mich doch heute unterhalten, als du kamst und fragtest, ob du deinem Freund von der Verlobung schreiben sollst. Er weiss doch alles, dummer Junge, er weiss doch alles! Ich schrieb ihm doch, weil du vergessen hast, mir das Schreibzeug wegzunehmen. Darum kommt er schon seit Jahren nicht, er weiss ja alles hundertmal besser als du selbst. Deine Briefe zerkn"ullt er ungelesen in der linken Hand, w"ahrend er in der Rechten meine Briefe zum Lesen sich vorh"alt! "
Seinen Arm schwang er vor Begeisterung "uber dem Kopf. "Er weiss alles tausendmal besser! " rief er.
"Zehntausendmal!" sagte Georg, um den Vater zu verlachen, aber noch in seinem Munde bekam das Wort einen toternsten Klang.
"Seit Jahren passe ich schon auf, dass du mit dieser Frage k"amest! Glaubst du, mich k"ummert etwas anderes? Glaubst du, ich lese Zeitungen? Da! " und er warf Georg ein Zeitungsblatt, das irgendwie mit ins Bett getragen worden war, zu. Eine alte Zeitung, mit einem Georg schon ganz unbekannten Namen.
"Wie lange hast du gez"ogert, ehe du reif geworden bist! Die Mutter musste sterben, sie konnte den Freudentag nicht erleben, der Freund geht zugrunde in seinem Russland, schon vor drei Jahren war er gelb zum Wegwerfen, und ich, du siehst ja, wie es mit mir steht. Daf"ur hast du doch Augen! "
"Du hast mir also aufgelauert! " rief Georg.
Mitleidig sagte der Vater nebenbei: "Das wolltest du wahrscheinlich fr"uher sagen. Jetzt passt es ja gar nicht mehr. "
Und lauter: "Jetzt weisst du also, was es noch ausser dir gab, bisher wusstest du nur von dir! Ein unschuldiges Kind warst du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst du ein teuflischer Mensch! – Und darum wisse: Ich verurteile dich jetzt zum Tode des Ertrinkens! "
Georg f"uhlte sich aus dem Zimmer gejagt, den Schlag, mit dem der Vater hinter ihm aufs Bett st"urzte, trug er noch in den Ohren davon. Auf der Treppe, "uber deren Stufen er wie "uber eine schiefe Fl"ache eilte, "uberrumpelte er seine Bedienerin, die im Begriffe war heraufzugehen, um die Wohnung nach der Nacht aufzur"aumen. "Jesus! " rief sie und verdeckte mit der Sch"urze das Gesicht, aber er war schon davon. Aus dem Tor sprang er, "uber die Fahrbahn zum Wasser trieb es ihn. Schon hielt er das Gel"ander fest, wie ein Hungriger die Nahrung. Er schwang sich "uber, als der ausgezeichnete Turner, der er in seinen Jugendjahren zum Stolz seiner Eltern gewesen war. Noch hielt er sich mit schw"acher werdenden H"anden fest, ersp"ahte zwischen den Gel"anderstangen einen Autoomnibus, der mit Leichtigkeit seinen Fall "ubert"onen w"urde, rief leise: "Liebe Eltern, ich habe euch doch immer geliebt", und liess sich hinabfallen.
In diesem Augenblick ging "uber die Br"ucke ein geradezu unendlicher Verkehr.
2. DIE VERWANDLUNG
I
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Tr"aumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten R"ucken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gew"olbten, braunen, von bogenf"ormigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen H"ohe sich die Bettdecke, zum g"anzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kl"aglich d"unnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
"Was ist mit mir geschehen?" dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer, ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen den vier wohlbekannten W"anden. "Uber dem Tisch, auf dem eine auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war – Samsa war Reisender –, hing das Bild, das er vor kurzem aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem h"ubschen, vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die, mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasass und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob.
Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und das tr"ube Wetter – man h"orte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen – machte ihn ganz melancholisch. "Wie w"are es, wenn ich noch ein wenig weiterschliefe und alle Narrheiten verg"asse", dachte er, aber das war g"anzlich undurchf"uhrbar, denn er war gew"ohnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in seinem gegenw"artigen Zustand nicht in diese Lage bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite warf, immer wieder schaukelte er in die R"uckenlage zur"uck. Er versuchte es wohl hundertmal, schloss die Augen, um die zappelnden Beine nicht sehen zu m"ussen, und liess erst ab, als er in der Seite einen noch nie gef"uhlten, leichten, dumpfen Schmerz zu f"uhlen begann.
"Ach Gott", dachte er, "was f"ur einen anstrengenden Beruf habe ich gew"ahlt! Tag aus, Tag ein auf der Reise. Die gesch"aftlichen Aufregungen sind viel gr"osser, als im eigentlichen Gesch"aft zu Hause, und ausserdem ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die Zuganschl"usse, das unregelm"assige, schlechte Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel soll das alles holen! " Er f"uhlte ein leichtes Jucken oben auf dem Bauch; schob sich auf dem R"ucken langsam n"aher zum Bettpfosten, um den Kopf besser heben zu k"onnen; fand die juckende Stelle, die mit lauter kleinen weissen P"unktchen besetzt war, die er nicht zu beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die Stelle betasten, zog es aber gleich zur"uck, denn bei der Ber"uhrung umwehten ihn K"alteschauer.
Er glitt wieder in seine fr"uhere Lage zur"uck. "Dies fr"uhzeitige Aufstehen", dachte er, "macht einen ganz bl"odsinnig. Der Mensch muss seinen Schlaf haben. Andere Reisende leben wie Haremsfrauen. Wenn ich zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus zur"uckgehe, um die erlangten Auftr"age zu "uberschreiben, sitzen diese Herren erst beim Fr"uhst"uck. Das sollte ich bei meinem Chef versuchen; ich w"urde auf der Stelle hinausfliegen. Wer weiss "ubrigens, ob das nicht sehr gut f"ur mich w"are. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zur"uckhielte, ich h"atte l"angst gek"undigt, ich w"are vor den Chef hin getreten und h"atte ihm meine Meinung von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult h"atte er fallen m"ussen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und von der H"ohe herab mit dem Angestellten zu reden, der "uberdies wegen der Schwerh"origkeit des Chefs ganz nahe herantreten muss. Nun, die Hoffnung ist noch nicht g"anzlich aufgegeben; habe ich einmal das Geld beisammen, um die Schuld der Eltern an ihn abzuzahlen – es d"urfte noch f"unf bis sechs Jahre dauern –, mache ich die Sache unbedingt. Dann wird der grosse Schnitt gemacht. Vorl"aufig allerdings muss ich aufstehen, denn mein Zug f"ahrt um f"unf. "
Und er sah zur Weckuhr hin"uber, die auf dem Kasten tickte. "Himmlischer Vater!" dachte er. Es war halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig vorw"arts, es war sogar halb vor"uber, es n"aherte sich schon dreiviertel. Sollte der Wecker nicht gel"autet haben? Man sah vom Bett aus, dass er auf vier Uhr richtig eingestellt war; gewiss hatte er auch gel"autet. Ja, aber war es m"oglich, dieses m"obelersch"utternde L"auten ruhig zu verschlafen? Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto fester. Was aber sollte er jetzt tun? Der n"achste Zug ging um sieben Uhr; um den einzuholen, h"atte er sich unsinnig beeilen m"ussen, und die Kollektion war noch nicht eingepackt, und er selbst f"uhlte sich durchaus nicht besonders frisch und beweglich. Und selbst wenn er den Zug einholte, ein Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, denn der Gesch"aftsdiener hatte beim F"unfuhrzug gewartet und die Meldung von seiner Vers"aumnis l"angst erstattet. Es war eine Kreatur des Chefs, ohne R"uckgrat und Verstand. Wie nun, wenn er sich krank meldete? Das w"are aber "ausserst peinlich und verd"achtig, denn Gregor war w"ahrend seines f"unfj"ahrigen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiss w"urde der Chef mit dem Krankenkassenarzt kommen, w"urde den Eltern wegen des faulen Sohnes Vorw"urfe machen und alle Einw"ande durch den Hinweis auf den Krankenkassenarzt abschneiden, f"ur den es ja "uberhaupt nur ganz gesunde, aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und h"atte er "ubrigens in diesem Falle so ganz unrecht? Gregor f"uhlte sich tats"achlich, abgesehen von einer nach dem langen Schlaf wirklich "uberfl"ussigen Schl"afrigkeit, ganz wohl und hatte sogar einen besonders kr"aftigen Hunger.