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Der untreue Heinrich

Vor langer, langer Zeit lebten in einem fernen Land K"onig Heinrich und K"onigin Marisa. Die K"onigin war von Angesicht bildsch"on und wohlgestaltet, so dass die Kunde dar"uber in die entlegensten Winkel der weit entfernten K"onigreiche drang. Wer Marisa einmal erblickt hatte, der konnte ihre Sch"onheit niemals mehr vergessen.

K"onig Heinrich musste oft ausziehen, um die Grenzen seines Landes zu sch"utzen. Dann blieb K"onigin Marisa allein im Schloss zur"uck. In solchen Zeiten gab sie B"alle, um nicht vor Langeweile zugrunde zu gehen.

So lebten die beiden lange Zeit gl"ucklich und unbek"ummert. Mit den Jahren aber wurde die K"onigin immer boshafter und z"ankischer. Denn sie wollte gern die Sch"onste der ganzen Welt bleiben, aber es gab immer h"aufiger andere, die sch"oner waren als sie. Marisa putzte sich sorgsam heraus, zog die h"ubschesten Kleider an, legte den teuersten Schmuck an und trug das erlesenste Parf"um, aber ihre Jugend war nun einmal verflogen. Doch das wollte die K"onigin nicht anerkennen. Sie wurde gr"un vor Neid, wenn sie die sch"onen jungen Frauen sah, und gab ihrem k"oniglichen Gemahl, dem Hof und der ganzen Welt die Schuld daf"ur, dass h"ubschere Prinzessinnen und K"oniginnen ihr den Rang abliefen. Ihr Mann, K"onig Heinrich, "ubersah ihre Unzufriedenheit, denn seine Frau war f"ur ihn noch immer sch"on. Er liebte sie nach wie vor. K"onigin Marisa aber fuhr fort, ihre Untertanen mit ihrer Missgunst zu verfolgen und zu qu"alen. Irgendwann zerbrach sie unter der Last ihrer eigenen Bosheit und starb.

Nach dem Tod seiner geliebten Frau wurde K"onig Heinrich vor Kummer so krank, dass er das Bett h"uten musste und die Staatsangelegenheiten vernachl"assigte. Seine Feinde bemerkten die Schw"ache des K"onigs im Nu und r"uckten an die Grenzen seines Reiches vor, um das Land zu erobern. Doch der K"onig erkannte ihre arglistigen Pl"ane. Obwohl die Trauer ihn geschw"acht hatte, raffte er sich auf und zog seine Truppen zusammen, um die Feinde zur"uckzuschlagen und die Grenzen seines Landes zu sichern.

Nach einiger Zeit "uberwand der K"onig seine Trauer und beschloss, wieder zu heiraten, damit er nicht den Rest seines Lebens in Einsamkeit verbringen m"usste. So begann er wieder unter die Menschen und auf h"ofische B"alle zu gehen. Auf einem solchen Fr"uhlingsball, den sein Freund Karl-Friedrich gab, lernte er schliesslich die Prinzessin Gudrun kennen. Sie war so sch"on und bezaubernd, dass der K"onig sich bei ihrem Anblick sofort in sie verliebte. Gudrun ihrerseits r"uhrte Heinrichs Einsamkeit. Auch sie verliebte sich in ihn.

Es gab keinen Grund, die Sache auf die lange Bank zu schieben, und so begann Heinrich, seine Hochzeit mit Prinzessin Gudrun vorzubereiten. Als seine Feinde davon Wind bekamen, wollten sie das Gl"uck des K"onigs vereiteln. Wieder liessen sie ihre Truppen auf sein Land zu marschieren, und schon bald stand der Angriff bevor. Heinrich blieb nichts anderes "ubrig, als seine Hochzeit zu verschieben. Er begann sich f"ur den Kampf zu r"usten, denn er wollte seine Ritter auch diesmal selbst in die Schlacht f"uhren.

Zu Gudrun sagte er: „Es ist meine Pflicht, in den Krieg zu ziehen, um mein Volk und mein K"onigreich zu verteidigen. Wenn du auf mich wartest, kehre ich bald als Sieger zur"uck, und wir werden zusammen gl"ucklich sein.“ So sprach der K"onig und zog in den Krieg.

Gudrun setzte sich ans Fenster, blickte den Weg hinunter und wartete auf Heinrichs R"uckkehr, wie er es ihr versprochen hatte. Sie wartete den ganzen Tag, dann die ganze Woche, aber kein Eilbote erschien, keine Nachricht vom K"onig traf ein. So verging ein Monat, dann ein zweiter. Gudrun sass, wartete und weinte vor Schmerz. Dann kam eines Tages ein Bote auf einem Rappen den Weg heraufgeritten. Er stieg ab, verneigte sich vor Gudrun und berichtete, dass der K"onig in der Schlacht schwer verletzt worden und an seinen Wunden verstorben war. Da begann die Prinzessin bitterlich zu weinen. Ihr Kummer war so gross, dass sie weder ass noch trank. Es fehlte nicht viel, und sie w"are vor Gram gestorben. Das Einzige, was sie am Leben hielt, war die Erinnerung an das, was der K"onig ihr beim Abschied gesagt hatte: „Denk daran: Was auch geschehen mag, ich werde immer bei dir sein und dich besch"utzen, damit du f"ur uns weiterleben kannst.“

Damals hatte sie diese Worte nicht h"oren wollen, jetzt aber spendete sie ihr Trost und halfen ihr, wieder zu Kr"aften zu kommen. Irgendwann trocknete sie ihre Tr"anen und begann weiterzuleben. Die Erinnerung an Heinrich bewahrte sie and"achtig in ihrem Herzen.

Als nun allgemein bekannt wurde, dass K"onig Heinrich nicht mehr am Leben war, begannen zahlreiche Freier, der Prinzessin den Hof zu machen. Denn Gudrun war noch immer eine sch"one und kluge Frau. Viele Prinzen umwarben sie, einer ansehnlicher als der andere. Sie aber war ausserstande, ihren geliebten Heinrich zu vergessen, und gab einem Kandidaten nach dem anderen einen Korb.

So verging eine geraume Zeit. Eines Tages erschien bei Gudrun ein Reiter auf einem pr"achtigen Schimmel. Das war Prinz Ferdinand. Auch er war mit der Absicht gekommen, um die Hand der Prinzessin anzuhalten. Ferdinand machte einen guten Eindruck auf Gudrun. Ausserdem verstand er es, z"artliche und bet"orende Reden zu f"uhren. Die Prinzessin lauschte seinen s"ussen Worten, dachte eine Weile nach und willigte schliesslich ein, ihn zu heiraten. Nicht lange darauf begannen die Vorbereitungen f"ur die Hochzeit. Gudrun zog in Ferdinands Schloss und bewohnte dort das Turmzimmer.

Schliesslich waren es nur noch wenige Tage bis zu den Hochzeitsfeierlichkeiten, die ersten G"aste trafen bereits ein. Am Abend weilte Gudrun, wie immer um diese Zeit, allein in ihrem Gemach. Pl"otzlich h"orte sie Glas klirren, sie drehte sich um und sah, dass eins der schmalen Fenster von einem Stein zertr"ummert worden war. Gudrun erschrak zun"achst, dann aber fand sie den Stein auf dem Boden und sah, dass daran ein Zettel befestigt war. Sie hob den Stein auf und l"oste den Zettel, und ihr stockte das Herz in der Brust, als sie Heinrichs Handschrift erkannte.

Der K"onig schrieb: „Liebe Gudrun, die du mein Herz und meine Sonne bist, erfahre nun, dass ich lebe. Ich m"ochte dich sehen, doch einstweilen muss ich unerkannt bleiben. Ich habe von deiner neuen Bleibe erfahren und bitte dich, heute Abend bei Anbruch der Dunkelheit allein zu dem Teich im Garten zu kommen, ohne dass es jemand bemerkt. Es ist wichtig, dass dich niemand sieht.“

Es gibt keine Worte, um die Freude zu beschreiben, die Gudrun beim Lesen dieser Nachricht durchstr"omte. Sie konnte den Abend kaum erwarten. Bei Sonnenuntergang schlich sie sich aus dem Haus und eilte in den Garten zum Teich. Dort fand sie ihren geliebten Heinrich, der unter einem Baum verborgen auf sie wartete. Sie warf sich in seine Arme, und die beiden k"ussten und liebkosten sich innig. Erst nach einer langen Weile l"osten sie sich voneinander. Als Gudrun ihren Geliebten nun genauer anschaute, erkannte sie ihn kaum wieder: Er sah abgezehrt und ausgemergelt aus, und seine Kleider waren zerlumpt. Heinrich l"achelte gequ"alt.

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