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"Uberhaupt die Zukunft — der illusionslos-antiutopisch eingestellte Brodsky hielt nichts von ihr, stand ihr ablehnend gegen"uber. Sie ist bei ihm ein Zeitraum der K"alte, der Vereisung, der Abwesenheit der Liebe. Schlechthin eine "Ara des Todes.

* * *

Der Anfang der 4. Strophe formuliert einen Imperativ: «Deshalb besser: keine Angst!» («Поэтому лучше бесстрашие!»). Am Schluss der 7. Strophe wird das Schreiben als Mittel der Befreiung von der Angst beschworen; «Das Kratzen der Feder in der Stille h"altst / du f"ur den Versuch in Kleinschrift die Angst zu verlernen» («что скрип пера / в тишине по бумаге / — бесстрашье в миниатюре»). Furchtlosigkeit «in Miniatur», ob als «Kleinschrift» oder «im Kleinen» — es ist eine bescheidene Strategic der Angstbew"altigung, die der Dichter hier empfiehlt.

Und noch eine f"ur Brodsky typische Ermahnung versteckt sich ganz am Schluss des Gedichtes: Vermeide die Tautologie.

«Und Furcht vor Tautologie ist Garantie f"ur Wohlergehen» («И страх тавтологии — гарантия благополучья»), Brodsky war ein Dichter, der sich als eingefleischter Exilant jede Hoffnung auf Intaktheit und Heimkehr und Heil verbat. Simple Wiederkehr an den Ort des fr"uheren Geschehens w"are Tautologie, eine Figur, die Brodsky immer wieder geisselte: als blosse Wiederholung im Klischee, "ode Vermassung, sinnlose Vermehrung des ohnehin Vorhandenen.

Tautologie war f"ur Brodsky eine Tods"unde des K"unstlers. Auch im Bereich des eigenen Lebens. Er weigerte sich selbst nach der Wende, als das Sowjetimperium untergegangen war, nach Russland zur"uckzukehren. Als Lebender nicht und erst recht nicht als Toter, um der Vereinnahmung durch ein quasi-staatliches Grab und dem russischen Stereotyp des zu Lebzeiten geschundenen, nach dem Tod verkl"arten Dichters zu entgehen. Also wollte er in seinem «irdischen Paradies» Venedig begraben sein, auf der Friedhofinsel San Michele; in jenem Venedig, das der Exilant «siebzehn Winter lang» aufsuchte, ohne dabei je an Wiederholung oder Tautologie zu denken. Denn in der Kunst war Tautologie und Klischee f"ur ihn unm"oglich, und Venedig f"ur ihn — der Ort der Kunst schlechthin, nachzulesen in seinem grandiosen Venedig-Essay «Ufer der Verlorenen» (im englischen Original: «Watermark»).

Und ein anderer Imperativ leitet sich aus der Angst vor dem Sterbenm"ussen ab, jener Imperativ des Staubes: «Vergiss mich nicht» («не забывай меня»), in der 6. Strophe. Es ist der Imperativ, den Huchels Gedicht «Die Engel» vorgegeben hatte mit dem biblisch hohen Register in «Gedenke meiner» und den Brodsky, der Pathosbrecher, herabd"ampft zu einem schlichten: «Vergiss mich nicht!» Die Bewahrung des Ged"achtnisses ist auch ein Motor des Schreibens und Schreibenm"ussens — angesichts des Sterbenm"ussens.

Brodsky ist der Stoiker der Postmoderne. Im Jahr 1994, ein gutes Jahr vor seinem Tod, widmete er einen seiner letzten Essays Marc Aurel (121–180), dem r"omischen Kaiser und Autor der Selbstbetrachtungen. «Hommage an Marc Aurel» ist eine so einf"uhlsame wie energische W"urdigung der stoischen Philosophic von Zenon bis Epiktet und Marc Aurel, deren gemeinsames Projekt die "Uberwindung der Angst vor dem Tod war. «Bedenke, dass der Hauptquell alien "Ubels f"ur den Menschen wie auch von Niedertracht und Feigheit nicht der Tod, sondern die Furcht vor dem Tod ist» (Epiktet). Das Ziel der Stoiker war die Gem"utsruhe (griechisch: Ataraxia, lateinisch: Aequanimitas), Gleichmut und Gelassenheit angesichts des Schrecklichen. Brodskys Essay ist eine Vemeigung vor den stoischen Philosophen und mutet fast wie ein Bewerbungsschreiben an, selber in ihre Reihe aufgenommen zu werden. Selbst der Selbstmord, den die Stoiker als Mittel der Freiheit in auswegloser Lage bejahten, findet sich in Brodskys Farn-Philosophic wieder, im «Signal dass es Zeit wird f"ur einen selbst, / die Lampe zu l"oschen» («указанье, что самому пора / выключить лампу»).

Die allgegenw"artige Perspektive des Sterbens im Werk des von seiner Herzkrankheit dauemd bedrohten, am 28. Januar 1996 dem Herztod erlegenen Joseph Brodsky schliesst die Gegenmittel und Strategien der "Uberwindung nicht aus, den Imperativ des Schreibens und Gedenkens. Kein anderes Gedicht res"umiert derart pr"agnant Brodskys Lebensmaximen wie «Anmerkungen eines Farns». Prinzipien, die er hier, nach der parodistischen Reihung diverser Verfahren der Zukunftsdeutung, in eine Anzahl Ermahnungen kleidet: Vermeidung der Tautologie, Furchtlosigkeit angesichts des Todes, Bewahrung des Ged"achtnisses in der Schrift, Gleichmut und Gelassenheit, Angstbew"altigung dank der beharrlichen Schreibkunst, dank dem bescheidenen Ger"ausch des Schreibger"ats in der Stille. Es ist ein nicht etwa heilendes (eine solche Idee w"are Brodsky suspekt), aber zugleich erhebendes und ern"uchterndes Ger"ausch. Es ist die klangliche Entsprechung einer Lebens— und Sterbenslehre «im Kleinen», in der Miniatur. Es ist die bescheidene Musik des Farns.

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Ralph Dutli

Zur Rezeption Fremder Kulturen in der russischen Moderne am Beispiel Armeniens

BRJUSOV, BELYI, MANDEL’STAM

Konstantin M. Azadovskij geh"ort zu den Pionieren der Wiederentdeckung und Erschliessung der Literatur des «Silbernen Zeitalters». Ihm geb"uhrt das Verdienst, die russische Moderne nicht nur als nationales Kulturgut, sondern als Bestandteil der europ"aischen Moderne in ihren intemationalen Beziehungen und Verflechtungen in den Blick genommen zu haben [246] . Zu diesem gesamteuropaischen Horizont geh"ort auch die Tatsache, dass bei aller Unterschiedlichkeit der poetischen Konzepte sowohl die Symbolisten als auch die Akmeisten ein kulturelles Programm vertraten, das die eigene Position nicht durch Ausgrenzung des Fremden bestimmte, sondern die, im Gegenteil, in bewusster Aneignung fremder Kulturen und in der Auseinandersetzung mit ihnen, ihren eigenen Platz in der Weltkultur suchten. Die Symbolisten proklamierten die Kulturals den Weg zur allumfassenden «Synthese» (Belyj, Ivanov), die Akmeisten verteidigten Kultur als einen universellen Wert (Achmatova) und sprachen in Zeiten der Barbarei von der «Sehnsucht nach Weltkultur» (Mandel’stam).

246

Stellvertretend soli an dieser Stelle die Untersuchung des seine Zeitgenossen an kosmopolitischer Breite "uberragenden Dichters Konstatin Bal’mont genannt werden. Vgl.: Азадовский К., Дьякова E. Бальмонт и Япония. Москва: Наука, 1991. Die dort getroffene Feststellung, dass das Bestreben, die Wfeltkultur in ihrer ganzen Vielfalt und Vielschichtigkeit zu erfassen, den "alteren Symbolisten, zu denen Bal’mont eine Zeitlang geh"orte, zu eigen sei (S. 4), gilt m. E. auch f"ur die j"ungeren Symbolisten, denen Bal’mont ebenfalls nahe stand und in besonderem Masse f"ur die Akmeisten.

In der russischen Literatur spielte traditionell auch die Besch"aftigung mit dem eigenen Fremden, dem Kaukasus, der Krim und Sibirien eine wichtige Rolle. Die eroberten Gebiete wurden zu Objekten "asthetischer Aneignung, ohne dass die Kolonialismuspolitik des Zarenreiches prin-zipiell in Frage gestellt worden w"are (zu den Ausnahmen geh"ort der spate Lev Tolstoj). Die gelegentlichen Hinweise bei Puskin oder Marlinskij, dass Georgien und Armenien uralte christliche Zivilisationen seien, "andern nichts am kolonialistischen Gesamttenor der Behandlung des russischen Ostens in der klassischen russischen Literatur [247] . Zu untersuchen w"are nun, inwieweit die Autoren der Moderne neue Facetten in die literarische Eroberung des russischen Orients einbringen. Zu fragen w"are auch, was mit ihren Syntheseans"atzen in der sowjetischen "Ara geschieht, die ja eine neue Phase der Kolonialisierung einleitet. Hier er~offnet sich ein weites Forschungsfeld, zu dem an dieser Stelle nur kurze "Uberlegungen angestellt werden k"onnen.

247

Vgl. z. B.: Layton S. Russian Literature and Empire. Conquest of the Caucasus from Pushkin to Tolstoy. Cambridge: Cambridge University Press, 1994; Frank S. Gefangen in der russischen Kultur. Zur Spezifik der Aneignung des Kaukasus in der russischen Kultur // Die Welt der Slawen XLIII. 1998. S. 61–84.

Am Beispiel der Armenien-Texte von Brjusov, Belyj und Mandel’stam soil gezeigt werden, dass diese Autoren ihr im «Silbemen Zeitalter» ausgebildetes Kulturverst"andnis in die sowjetische "Ara hin"uber zu retten versuchen, was den Dissens mit der offiziellen Kulturpolitik vorprogrammiert.

Valerij Brjusovs Anthologie:
«Po"ezija Armenii. Narodnaja — srednevekovaja — novaja v perevode russkich po'etov»

Brjusovs Anthologie entstand auf Bitten des in Moskau ans"assigen Armenischen Komitees nach dem Genozid der Armenier durch das Osmanische Reich im Jahr 1915.

Brjusov selbst "ubemahm den L"owenanteil der "Ubersetzungen, konnte aber auch andere symbolistische Dichterkollegen, z. B. A. Blok, V. Ivanov, F. Sologub, K. Bal’mont, zur Mitarbeit gewinnen. Er besuchte Armenien 1916 und wurde von den dortigen Dichtem und K"unstlern begeistert empfangen. Bis zu seinem Tode liess ihn die Besch"aftigung mit Armenien nicht mehr los. Mehrere Gedichte sind Armenien gewidmet, eine historische Chronik «Letopis’ istoriceskich sudeb armjanskogo naroda» blieb unvollendet [248] .

248

Erstver"offentlichung // Валерий Брюсов и Армения: В 2 кн. Кн. 1. Стихи, статьи, очерки и письма В. Я. Брюсова. Ереван: Совекатан грох, 1988. S. 135–245 (Im Wfeiteren «Брюсов и Армения»).

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