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Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen

Перфилова Е. Д.

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Vielleicht war es eine Torheit [82] , denn sonst lebte ich jetzt irgendwo still und geborgen, und dies Kind, das geliebte, mit mir, aber – warum soll ich Dir es nicht gestehen – ich wollte mich nicht binden, ich wollte Dir frei sein in jeder Stunde. Innen im Tiefsten, im Unbewussten meines Wesens lebte noch immer der alte Kindertraum, Du w"urdest vielleicht noch einmal mich zu Dir rufen, sei es nur f"ur eine Stunde lang. Und f"ur diese eine m"ogliche Stunde habe ich alles weggestossen, nur um Dir frei zu sein f"ur Deinen ersten Ruf. Was war mein ganzes Leben seit dem Erwachen aus der Kindheit denn anders als ein Warten, ein Warten auf Deinen Willen!

82

Torheit, f – сумасбродство

Und diese Stunde, sie ist wirklich gekommen. Aber Du weisst sie nicht, Du ahnst sie nicht, mein Geliebter! Auch in ihr hast Du mich nicht erkannt – nie, nie, nie hast du mich erkannt! Ich war Dir ja schon fr"uher oft begegnet, in den Theatern, in den Konzerten, im Prater, auf der Strasse – jedes Mal zuckte mir das Herz, aber Du sahst an mir vorbei: ich war ja "ausserlich eine ganz andere, aus dem scheuen Kinde war eine Frau geworden, sch"on, wie sie sagten, in kostbare Kleider geh"ullt, umringt von Verehrern: wie konntest Du in mir jenes sch"uchterne M"adchen im d"ammerigen [83] Licht Deines Schlafraumes vermuten! Manchmal gr"usste Dich einer der Herren, mit denen ich ging. Du danktest und sahst auf zu mir: aber Dein Blick war h"ofliche Fremdheit, aber nie erkennend, entsetzlich fremd. Einmal, ich erinnere mich noch, ward mir dieses Nichterkennen, an das ich fast schon gewohnt war, zu brennender Qual: ich sass in einer Loge der Oper mit einem Freunde und Du in der Nachbarloge. Die Lichter erloschen bei der Ouvert"ure, ich konnte Dein Antlitz nicht mehr sehen, nur Deinen Atem f"uhlte ich so nah neben mir, wie damals in jener Nacht, und auf der samtenen [84] Br"ustung der Abteilung unserer Logen lag Deine Hand aufgest"utzt. Und unendlich "uberkam mich das Verlangen [85] , mich niederzubeugen und diese fremde, diese so geliebte Hand zu k"ussen, deren z"artliche Umfassung ich einst gef"uhlt. Um mich wogte aufw"uhlend die Musik, immer leidenschaftlicher wurde das Verlangen, ich musste mich ankrampfen, mich gewaltsam aufreissen, so gewaltsam zog es meine Lippen hin zu Deiner geliebten Hand. Nach dem ersten Akt bat ich meinen Freund, mit mir fortzugehen. Ich ertrug es nicht mehr, Dich so fremd und so nah neben mir zu haben im Dunkel. Aber die Stunde kam, sie kam noch einmal, ein letztes Mal in mein versch"uttetes Leben. Fast genau vor einem Jahr ist es gewesen, am Tage nach Deinem Geburtstage. Seltsam: ich hatte alle die Stunden an Dich gedacht, denn Deinen Geburtstag, ihn feierte ich immer wie ein Fest. Ganz fr"uhmorgens schon war ich ausgegangen und hatte die weissen Rosen gekauft, die ich Dir wie allj"ahrlich senden liess zur Erinnerung an eine Stunde, die Du vergessen hattest. Nachmittags fuhr ich mit dem Buben aus, f"uhrte ihn zu Demel in die Konditorei und abends ins Theater, ich wollte, auch er sollte diesen Tag, ohne seine Bedeutung zu wissen, irgendwie als einen mystischen Feiertag von Jugend her empfinden. Am n"achsten Tage war ich dann mit meinem damaligen Freunde, einem jungen, reichen Br"unner Fabrikanten, mit dem ich schon seit zwei Jahren zusammenlebte, der mich verg"otterte, verw"ohnte und mich ebenso heiraten wollte wie die andern und dem ich mich ebenso scheinbar grundlos verweigerte wie den andern, obwohl er mich und das Kind mit Geschenken "ubersch"uttete und selbst liebenswert war in seiner ein wenig dumpfen G"ute. Wir gingen zusammen in ein Konzert, trafen dort heitere Gesellschaft, soupierten in einem Ringstrassenrestaurant, und dort, mitten im Lachen und Schw"atzen [86] , machte ich den Vorschlag, noch in ein Tanzlokal, in den Tabarin, zu gehen. Mir waren diese Art Lokale mit ihrer systematischen und alkoholischen Heiterkeit wie jede „Drahrerei“ sonst immer widerlich, und ich wehrte mich sonst immer gegen derlei Vorschl"age, diesmal aber – es war wie eine unergr"undliche magische Macht in mir, die mich pl"otzlich unbewusst den Vorschlag mitten in die freudig zustimmende Erregung der andern werfen liess – hatte ich pl"otzlich ein unerkl"arliches Verlangen, als ob dort irgendetwas Besonderes mich erwarte. Gewohnt, mir gef"allig [87] zu sein, standen alle rasch auf, wir gingen hin"uber, tranken Champagner, und in mich kam mit einem Mal eine fast schmerzhafte Lustigkeit, wie ich sie nie gekannt. Ich trank und trank, sang die kitschigen Lieder mit und hatte fast den Zwang, zu tanzen oder zujubeln. Aber pl"otzlich – mir war, als h"atte etwas Kaltes oder etwas Gl"uhendheisses sich mir j"ah aufs Herz gelegt – riss es mich auf: am Nachbartisch sassest Du mit einigen Freunden und sahst mich an mit einem bewundernden und begehrenden [88] Blick. Zum ersten Mal seit zehn Jahren sahst Du mich wieder an mit der ganzen unbewusst-leidenschaftlichen Macht Deines Wesens.

83

d"ammerig

сумеречный

84

Samt, m – бархат

85

Verlangen, n – желание

86

Schwatz, m – болтовня

87

gef"allig, adj – услужливый

88

begehrend, (nach D) – желать

Ich zitterte. Fast w"are mir das erhobene Glas aus den H"anden gefallen. Gl"ucklicherweise merkten die Tischgenossen nicht meine Verwirrung: sie verlor sich in dem Dr"ohnen von Gel"achter und Musik. Immer brennender wurde Dein Blick und tauchte mich ganz in Feuer. Ich wusste nicht: hattest Du mich endlich, endlich erkannt, oder begehrtest Du mich neu, als eine andere, als eine Fremde? Das Blut flog mir in die Wangen [89] , zerstreut antwortete ich den Tischgenossen: Du musstest es merken, wie verwirrt ich war von Deinem Blick. Unmerklich f"ur die "ubrigen machtest Du mit einer Bewegung des Kopfes ein Zeichen, ich m"ochte f"ur einen Augenblick hinauskommen in den Vorraum. Dann zahltest Du ostentativ, nahmst Abschied von Deinen Kameraden und gingst hinaus, nicht ohne zuvor noch einmal angedeutet zu haben, dass Du draussen auf mich warten w"urdest. Ich zitterte wie im Frost, wie im Fieber, ich konnte nicht mehr Antwort geben, nicht mehr mein aufgejagtes Blut beherrschen. Zuf"alligerweise begann gerade in diesem Augenblick ein Negerpaar mit knatternden Abs"atzen und schrillen Schreien einen absonderlichen [90] neuen Tanz: alles starrte ihnen zu, und diese Sekunde n"utzte ich. Ich stand auf, sagte meinem Freunde, dass ich gleich zur"uckk"ame, und ging Dir nach.

89

das Blut flog in die Wangen – кровь прихлынула к щекам

90

absonderlich – замысловатый, своеобразный

Draussen im Vorraum vor der Garderobe standest Du, mich erwartend: Dein Blick ward hell, als ich kam. L"achelnd eiltest Du mir entgegen; ich sah sofort, Du erkanntest mich nicht, erkanntest nicht das Kind von einst und nicht das M"adchen, noch einmal grifffest Du nach mir als einem Neuen, einem Unbekannten. „Haben Sie auch f"ur mich einmal eine Stunde?“ fragtest Du vertraulich – ich f"uhlte an der Sicherheit Deiner Art, Du nahmst mich f"ur eine dieser Frauen, f"ur die K"aufliche eines Abends. „Ja“, sagte ich, dasselbe zitternde und doch selbstverst"andliche einwilligende Ja, das Dir das M"adchen vor mehr als einem Jahrzehnt auf der d"ammernden Strasse gesagt. „Und wann k"onnten wir uns sehen?“ fragtest Du. „Wann immer Sie wollen“, antwortete ich – vor Dir hatte ich keine Scham. Du sahst mich ein wenig verwundert an, mitderselben misstrauisch-neugierigen Verwunderung wie damals, als Dich gleichfalls die Raschheit meines Einverst"andnisses erstaunt hatte. „K"onnten Sie jetzt?“ fragtest Du, ein wenig z"ogernd [91] . „Ja“, sagte ich, „gehen wir.“

91

z"ogernd

нерешительный

Ich wollte zur Garderobe, meinen Mantel holen. Da fiel mir ein, dass mein Freund den Garderobenzettel hatte f"ur unsere gemeinsam abgegebenen M"antel. Zur"uckzugehen und ihn verlangen, w"are ohne umst"andliche Begr"undung nicht m"oglich gewesen, anderseits die Stunde mit Dir preisgeben, die seit Jahren ersehnte, dies wollte ich nicht. So habe ich keine Sekunde gez"ogert: ich nahm nur den Schal "uber das Abendkleid und ging hinaus in die nebelfeuchte Nacht, ohne mich um den guten, z"artlichen Menschen zu k"ummern, von dem ich seit Jahren lebte zu einem, dem seine Geliebte nach Jahren wegl"auft auf den ersten Pfiff eines fremden Mannes.

Oh, ich war mir ganz der Niedrigkeit, der Undankbarkeit, der Sch"andlichkeit, die ich gegen einen ehrlichen Freund beging, im Tiefsten bewusst. Ich f"uhlte, dass ich l"acherlich handelte und mit meinem Wahn einen g"utigen Menschen f"ur immer t"odlich kr"ankte. Ich f"uhlte, dass ich mein Leben mitten entzweiriss [92] – aber was war mir Freundschaft, was meine Existenz gegen die Ungeduld, wieder einmal Deine Lippen zu f"uhlen, Dein Wort weich gegen mich gesprochen zu h"oren. So habe ich Dich geliebt, nun kann ich es Dir sagen, da alles vorbei ist und vergangen. Und ich glaube, riefest Du mich von meinem Sterbebette, so k"ame mir pl"otzlich die Kraft, aufzustehen und mit Dir zu gehen.

92

entzweireissenразрывать (пополам)

Ein Wagen stand vor dem Eingang, wir fuhren zu Dir. Ich h"orte wieder Deine Stimme, ich f"uhlte Deine z"artliche N"ahe und war genau so bet"aubt, so kindisch-selig verwirrt wie damals. Wie stieg ich, nach mehr als zehn Jahren, zum ersten Mal wieder die Treppe empor – nein, nein, ich kann Dir es nicht schildern, wie ich alles immer doppelt f"uhlte in jenen Sekunden, vergangene Zeit und Gegenwart, und in allem und allem immer nur Dich.

In Deinem Zimmer war weniges anders, ein paar Bilder mehr, und mehr B"ucher, da und dort fremde M"obel, aber alles doch gr"usste mich vertraut. Und am Schreibtisch stand die Vase mit den Rosen darin – mit meinen Rosen, die ich Dir tags vorher zu Deinem Geburtstag geschickt als Erinnerung an eine, an die Du Dich doch nicht erinnertest, die Du doch nicht erkanntest, selbst jetzt, da sie Dir nahe war, Hand in Hand und Lippe an Lippe. Aber doch: es tat mir wohl, dass Du die Blumen hegtest [93] : so war doch ein Hauch [94] meines Wesens, ein Atem meiner Liebe um Dich.

93

hegen – хранить

94

Hauch, m – дыхание

Du nahmst mich in Deine Arme. Wieder blieb ich bei Dir eine ganze herrliche Nacht. Aber auch im nackten Leibe erkanntest Du mich nicht. Selig erlitt ich Deine wissenden Z"artlichkeiten und sah, dass Deine Leidenschaft keinen Unterschied macht zwischen einer Geliebten und einer K"auflichen. Du warst so z"artlich und lind [95] zu mir, der vom Nachtlokal Geholten, so vornehm und so herzlich-achtungsvoll und doch gleichzeitig so leidenschaftlich im Geniessen der Frau. Wieder f"uhlte ich diese einzige Zweiheit Deines Wesens, die wissende, die geistige Leidenschaft in der sinnlichen, die schon das Kind Dir h"orig gemacht. Nie habe ich bei einem Manne in der Z"artlichkeit solche Hingabe an den Augenblick gekannt – freilich um dann hinzul"oschen in eine fast unmenschliche Vergesslichkeit.

95

lindчуткий, мягкий

Aber auch ich vergass mich selbst. Wer war ich nun im Dunkel neben Dir? War ich, das brennende Kind von einst, war ich, die Mutter Deines Kindes, war ich, die Fremde? Ach, es war so vertraut, so erlebt alles, und alles wieder so rauschend neu in dieser leidenschaftlichen Nacht. Und ich betete, sie m"ochte kein Ende nehmen [96] .

Aber der Morgen kam, wir standen sp"at auf, Du ladest mich ein, noch mit Dir zu fr"uhst"ucken. Wir tranken zusammen den Tee und plauderten. Wieder sprachst Du mit der ganzen offenen, herzlichen Vertraulichkeit Deines Wesens zu mir und wieder ohne alle indiskreten Fragen, ohne alle Neugier nach dem Wesen, das ich war. Du fragtest nicht nach meinem Namen, nicht nach meiner Wohnung: ich war Dir wiederum nur das Abenteuer, das Namenlose, die heisse Stunde, die im Rauch des Vergessens spurlos sich l"ost.

96

kein Ende nehmen – не было конца

Du erz"ahltest, dass Du jetzt weit weg reisen wolltest, nach Nordafrika f"ur zwei oder drei Monate: ich zitterte mitten in meinem Gl"uck, denn schon h"ammerte es mir in den Ohren: vorbei, vorbei und vergessen! Am liebsten w"are ich hin zu Deinen Knien gest"urzt und h"atte geschrien: „Nimm mich mit, damit Du mich endlich erkennst, endlich, endlich nach so vielen Jahren!“ Aber ich war ja so scheu, so schwach vor Dir. Ich konnte nur sagen: „Wie schade.“ Du sahst mich l"achelnd an: „Ist es Dir wirklich leid?“ Da fasste es mich wie eine pl"otzliche Wildheit [97] . Ich stand auf, sah Dich an, lange und fest. Dann sagte ich: „Der Mann, den ich liebte, ist auch immer weggereist.“ Ich sah Dich an, mitten in den Stern Deines Auges. „Jetzt, jetzt wird er mich erkennen!“ zitterte alles in mir. Aber Du l"acheltest mir entgegen und sagtest tr"ostend: „Man kommt ja wieder zur"uck.“

97

Wildheit, f – буйство

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