Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
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Ich kann nicht sagen, wie seltsam das war, dies stumme Nebeneinandersitzen im Dunkeln, knapp neben einem, den man nicht sah. Unwillk"urlich hatte ich das Gef"uhl, als starre dieser Mensch auf mich, genau wie ich auf ihn starrte: aber so stark war das Licht "uber uns, dass keiner von keinem mehr sehen konnte als den Umriss im Schatten. Das Schweigen war unertr"aglich. Ich w"are am liebsten weggegangen, aber das schien doch zu pl"otzlich. Aus Verlegenheit nahm ich mir eine Zigarette heraus. Das Z"undholz [124] zischte auf, eine Sekunde lang zuckte Licht "uber den engen Raum. Ich sah hinter Brillengl"asern ein fremdes Gesicht, das ich nie an Bord gesehen, bei keiner Mahlzeit, bei keinem Gang, und sei es, dass die pl"otzliche Flamme den Augen wehtat, oder war es eine Halluzination: es schien grauenhaft verzerrt und finster [125] . Aber ehe ich Einzelheiten deutlich wahrnahm, schluckte das Dunkel wieder die fl"uchtig erhellten Linien fort, nur den Umriss sah ich einer Gestalt, dunkel ins Dunkel gedr"uckt, und manchmal den kreisrunden roten Feuerring der Pfeife im Leeren. Keiner sprach, und dies Schweigen war schw"ul [126] und dr"uckend wie die tropische Luft. Endlich ertrug ich nicht mehr. Ich stand auf und sagte h"oflich „Gute Nacht“. „Gute Nacht“, antwortete es aus dem Dunkel, eine heisere [127] harte Stimme. Ich stolperte mich m"uhsam vorw"arts durch das Takelwerk an den Pfosten [128] vorbei. Da klang ein Schritt hinter mir her, hastig und unsicher. Es war der Nachbar von vordem. Unwillk"urlich blieb ich stehen. Er kam nicht ganz nah heran, durch das Dunkel f"uhlte ich ein Irgendetwas von Angst in der Art seines Schrittes.
124
Z"undholz, n –
125
finster – мрачный
126
schw"ul – душный
127
heiser – хриплый
128
Pfosten, m – стойка
„Verzeihen Sie“, sagte er dann hastig, „wenn ich eine Bitte an Sie richte. Ich… ich…“ – er stotterte und konnte nicht gleich weitersprechen vor Verlegenheit – „ich… ich habe private… ganz private Gr"unde, mich hier zur"uckzuziehen… ein Trauerfall… ich meide die Gesellschaft an Bord… Ich meine nicht Sie… nein, nein… Ich m"ochte nur bitten… Sie w"urden mich sehr verpflichten, wenn Sie zu niemandem an Bord davon sprechen w"urden, dass Sie mich hier gesehen haben… Es sind… sozusagen private Gr"unde, die mich jetzt hindern, unter die Leute zu gehen… ja… nun… es w"are mir peinlich, wenn Sie davon Erw"ahnung [129] t"aten, dass jemand hier nachts… dass ich…“ Das Wort blieb ihm wieder stecken, ich beseitigte rasch seine Verwirrung, indem ich ihm eiligst zusicherte, seinen Wunsch zu erf"ullen. Wir reichten einander die H"ande. Dann ging ich in meine Kabine zur"uck und schlief einen dumpfen und von Bildern verwirrten Schlaf.
129
Erw"ahnung, f – упоминание
Ich hielt mein Versprechen und erz"ahlte niemandem an Bord von der seltsamen Begegnung, obzwar die Versuchung keine geringe war. Denn auf einer Seereise wird das Kleinste zum Geschehnis, ein Segel am Horizont, ein Delphin, der aufspringt, ein neu entdeckter Flirt, ein fl"uchtiger Scherz. Dabei qu"alte mich die Neugier, mehr von diesem ungew"ohnlichen Passagier zu wissen: ich durchforschte die Schiffsliste nach einem Namen, der ihm zugeh"oren konnte, ich musterte die Leute, ob sie zu ihm in Beziehung stehen k"onnten: den ganzen Tag bem"achtigte sich meiner eine nerv"ose Ungeduld, und ich wartete eigentlich nur auf den Abend, ob ich ihm wieder begegnen w"urde. R"atselhafte psychologische Dinge haben "uber mich eine geradezu beunruhigende Macht, es reizt mich bis ins Blut, Zusammenh"ange aufzusp"uren, und sonderbare Menschen k"onnen mich durch ihre blosse Gegenwart zu einer Leidenschaft des Erkennenwollens entz"unden, die nicht viel geringer ist als jene des Besitzenwollens bei einer Frau.
Ich legte mich fr"uh ins Bett: ich wusste, ich w"urde um Mitternacht aufwachen. Und wirklich: ich erwachte um die gleiche Stunde wie gestern. Auf dem Radiumzifferblatt der Uhr deckten sich die beiden Zeiger in einem leuchtenden Strich. Hastig stieg ich aus der schw"ulen Kabine in die noch schw"ulere Nacht. Die Sterne strahlten wie gestern und sch"utteten ein diffuses Licht "uber das zitternde Schiff, hoch oben flammte das Kreuz des S"udens. Alles war wie gestern.
Er sass also dort. Unwillk"urlich schreckte ich zur"uck und blieb stehen. Im n"achsten Augenblick w"are ich gegangen. Da regte es sich dr"uben im Dunkel, etwas stand auf, tat zwei Schritte, und pl"otzlich h"orte ich knapp vor mir seine Stimme, h"oflich und gedr"uckt.
„Verzeihen Sie“, sagte er, „Sie wollen offenbar wieder an Ihren Platz, und ich habe das Gef"uhl, Sie fl"uchteten zur"uck, als Sie mich sahen. Bitte, setzen Sie sich nur hin, ich gehe schon wieder“. Ich eilte, ihm meinerseits zu sagen, dass er nur bleiben solle, ich sei bloss zur"uckgetreten, um ihn nicht zu st"oren. „Mich st"oren Sie nicht“, sagte er mit einer gewissen Bitterkeit, „im Gegenteil, ich bin froh, einmal nicht allein zu sein. Seit zehn Tagen habe ich kein Wort gesprochen… eigentlich seit Jahren nicht… Ich kann nicht mehr in der Kabine sitzen, in diesem… diesem Sarg… ich kann nicht mehr… und die Menschen ertrage ich wieder nicht, weil sie den ganzen Tag lachen… Das kann ich nicht ertragen jetzt… ich h"ore es hinein bis in die Kabine und stopfe mir die Ohren zu… freilich, sie wissen eben nicht, was geht das die Fremden an…“
Er stockte wieder. Und sagte dann ganz pl"otzlich und hastig: „Aber ich will Sie nicht bel"astigen… verzeihen Sie meine Geschw"atzigkeit [130] .“
Er verbeugte sich und wollte fort. Aber ich widersprach ihm dringlich. „Sie bel"astigen mich durchaus nicht. Auch ich bin froh, hier ein paar stille Worte zu haben… Nehmen Sie eine Zigarette?“ Er nahm eine. Ich z"undete an. Wieder riss sich das Gesicht flackernd vom schwarzen Bordrand los, aber jetzt voll mir zugewandt: die Augen hinter der Brille forschten [131] in mein Gesicht. Ein Grauen "uberlief mich. Ich sp"urte, dass dieser Mensch sprechen wollte, sprechen musste. Und ich wusste, dass ich schweigen m"usse, um ihm zu helfen.
130
Geschw"atzigkeit, f –
131
forschten – исследовать
Wir setzten uns wieder. Er hatte einen zweiten Deckchair dort, den er mir anbot. Unsere Zigaretten funkelten, und an der Art, wie der Lichtring, der seinen unruhig im Dunkel zitterte, sah ich, dass seine Hand bebte [132] . Aber ich schwieg, und er schwieg. Dann fragte pl"otzlich seine Stimme leise: „Sind Sie sehr m"ude?“
„Nein, durchaus nicht.“ Die Stimme aus dem Dunkel z"ogerte wieder. „Ich m"ochte Sie gerne um etwas fragen… das heisst, ich m"ochte Ihnen etwas erz"ahlen. Ich weiss, ich weiss genau, wie absurd das ist, mich an den ersten zu wenden, der mir begegnet, aber… ich bin… ich bin in einer furchtbaren psychischen Verfassung… ich bin an einem Punkt, wo ich unbedingt mit jemandem sprechen muss… ich gehe sonst zugrunde… Sie werden das schon verstehen, wenn ich… ja, wenn ich Ihnen eben erz"ahle… Ich weiss, dass Sie mir nicht werden helfen k"onnen… aber ich bin irgendwie krank von diesem Schweigen… und ein Kranker ist immer l"acherlich f"ur die andern…“
132
beben – дрожать
Ich unterbrach ihn und bat ihn, sich doch nicht zu qu"alen. Er m"oge mir nur erz"ahlen… ich k"onne ihm nat"urlich nichts versprechen, aber man habe doch die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Wenn man jemanden in einer Bedr"angnis [133] sehe, da ergebe sich doch nat"urlich die Pflicht zu helfen… „Die Pflicht… seine Bereitwilligkeit anzubieten… die Pflicht, den Versuch zu machen… Sie meinen also auch, Sie auch, man habe die Pflicht… die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten.“ Dreimal wiederholte er den Satz. War dieser Mensch wahnsinnig? War er betrunken?
133
Bedr"angnis – стеснение
Aber als ob ich die Vermutung laut mit den Lippen ausgesprochen h"atte, sagte er pl"otzlich mit einer ganz andern Stimme: „Sie werden mich vielleicht f"ur irr halten oder f"ur betrunken. Nein, das bin ich nicht – noch nicht. Nur das Wort, das Sie sagten, hat mich so merkw"urdig ber"uhrt… so merkw"urdig, weil es gerade das ist, was mich jetzt qu"alt, n"amlich ob man die Pflicht hat… die Pflicht…“ Er begann wieder zu stottern. Dann brach er kurz ab und begann mit einem neuen Ruck.
„Ich bin n"amlich Arzt. Und da gibt es oft solche F"alle, solche verh"angnisvolle [134] … ja, sagen wir Grenzf"alle, wo man nicht weiss, ob man die Pflicht hat… n"amlich, es gibt ja nicht nur eine Pflicht, die gegen den andern, sondern eine f"ur sich selbst und eine f"ur den Staat und eine f"ur die Wissenschaft… Man soll helfen, nat"urlich, dazu ist man doch da… aber solche Maximen sind immer nur theoretisch… Wie weit soll man denn helfen?… Da sind Sie, ein fremder Mensch, und ich bin Ihnen fremd, und ich bitte Sie, zu schweigen dar"uber, dass Sie mich gesehen haben… gut, Sie schweigen, Sie erf"ullen diese Pflicht… Ich bitte Sie, mit mir zu sprechen, weil ich krepiere [135] an meinem Schweigen… Sie sind bereit, mir zuzuh"oren… gut… Aber das ist ja leicht… Wenn ich Sie aber bitten w"urde, mich zu packen und "uber Bord zu werfen… da h"ort sich doch die Hilfsbereitschaft auf. Irgendwo endet doch… dort, wo man anf"angt mit seinem eigenen Leben, seiner eigenen Verantwortung… irgendwo muss es doch enden… irgendwo muss diese Pflicht doch aufh"oren… Oder vielleicht soll sie gerade beim Arzt nicht aufh"oren d"urfen? Muss der ein Heiland [136] sein, bloss weil er ein Diplom in lateinischen Worten hat, muss der wirklich sein Leben hinwerfen und sich Wasser ins Blut sch"utten, wenn irgendeine… irgendeiner kommt und will, dass er edel sei, hilfreich und gut? Ja, irgendwo h"ort die Pflicht auf… dort, wo man nicht mehr kann, gerade dort…“ Er hielt wieder inne und riss sich auf.
134
verh"angnisvoll – роковой
135
krepieren – подыхать
136
Heiland, m – спаситель