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Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen

Перфилова Е. Д.

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„Es muss gehen, Doktor“, sagte er ernst, „wir d"urfen die Station nicht ohne Arzt lassen. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich noch heute alles einleite.“ Ich blieb stehen, mit verbissenen Z"ahnen: zum ersten Mal sp"urte ich deutlich, dass ich ein verkaufter Mensch sei. Schon ballte sich alles zu einem Trotz [210] zusammen, aber er, der Geschmeidige, kam mir zuvor: „Sie sind menschenentw"ohnt, Doktor, und das wird schliesslich eine Krankheit. Wir haben uns alle gewundert, dass Sie nie herkamen, nie Urlaub nahmen. Sie brauchen mehr Anregung [211] . Kommen Sie doch wenigstens diesen Abend, wir haben heute Empfang bei der Regierung, Sie finden die ganze Kolonie, und manche m"ochten Sie l"angst kennen lernen, haben oft nach Ihnen gefragt und Sie hierher gew"unscht.“ Das letzte Wort riss mich auf. Nach mir gefragt? Sollte sie es gewesen sein? Ich war pl"otzlich ein anderer: sofort dankte ich ihm h"oflichst f"ur seine Einladung und sicherte mein Kommen p"unktlich zu. Und ich war auch p"unktlich, viel zu p"unktlich. Muss ich Ihnen erst sagen, dass ich, von meiner Ungeduld gejagt, der erste in dem grossen Saale des Regierungsgeb"audes war, schweigend umgeben von den gelben Dienern. Eine Viertelstunde war ich der einzige Europ"aer inmitten all der ger"auschlosen Vorbereitungen und so allein mit mir, dass ich das Ticken der Uhr in meiner Westentasche h"orte. Dann kamen endlich ein paar Regierungsbeamte mit ihren Familien, schliesslich auch der Gouverneur, der mich in ein l"angeres Gespr"ach zog, in dem ich befliss und, wie ich glaube, geschickt antwortete, bis… bis ich pl"otzlich, von einer geheimnisvollen Nervosit"at befallen, alle Geschmeidigkeit [212] verlor und zu stammeln [213] begann. Obzwar mit dem R"ucken gegen die Saalt"ur gelehnt, sp"urte ich mit einem Male, dass sie eingetreten, dass sie anwesend sein m"usste. Gl"ucklicherweise endete der Gouverneur bald das Gespr"ach – ich glaubte, ich h"atte mich sonst pl"otzlich br"usk [214] umgewandt, so stark war dieses geheimnisvolle Ziehen in meinen Nerven.

210

Trotz, m –

своенравие

211

Anregung, f – стимул

212

Geschmeidigkeit, f – покорность

213

stammeln – запинаться

214

Br"usk – резкий

Und wirklich, kaum dass ich mich umwandte, sah ich sie schon ganz genau an jener Stelle, wo sie unbewusst mein Gef"uhl geahnt. Sie stand in einem gelben Ballkleid, plaudernd inmitten einer Gruppe. Ich trat n"aher – sie konnte mich nicht sehen oder wollte mich nicht sehen – und blickte in dieses L"acheln, das gef"allig und h"oflich um die schmalen Lippen zitterte. Und dieses L"acheln berauschte mich von neuem, weil es… nun weil ich wusste, dass es L"uge war, Kunst oder Technik, Meisterschaft der Verstellung. Mittwoch ist heute, fuhr mir durch den Kopf, Samstag kommt das Schiff mit dem Gatten… wie kann sie so l"acheln, so… so sicher, so sorglos l"acheln und den F"acher l"assig in der Hand spielen lassen, statt ihn zu zerkrampfen [215] in Angst?

215

zerkrampfen – комкать

Ich… ich, der Fremde… ich zitterte seit zwei Tagen vor jener Stunde… ich, der Fremde, lebte ihre Angst und sie ging auf den Ball und l"achelte, l"achelte, l"achelte…R"uckw"arts setzte die Musik ein. Der Tanz begann. Ein "alterer Offizier hatte sie aufgefordert, sie liess mit einer Entschuldigung den plaudernden Kreis und schritt an seinem Arm gegen den andern Saal zu, an mir vorbei. Wie sie mich erblickte, spannte sich pl"otzlich ihr Gesicht gewaltsam zusammen – aber nur eine Sekunde lang, dann nickte sie mir mit einem h"oflichen Erkennen (ehe ich mich noch zu gr"ussen oder nichtgr"ussen entschlossen hatte) wie einem zuf"alligen Bekannten zu: „Guten Abend, Doktor“ und war schon vorbei. Niemand h"atte ahnen k"onnen, was in diesem graugr"unen Blick verborgen war, und ich, ich selbst wusste es nicht. Warum gr"usste sie… warum erkannte sie mich nun mit einmal an?… War das Abwehr [216] , war es Ann"aherung, war es nur die Verlegenheit der "Uberraschung? Ich kann Ihnen nicht schildern, in welcher Erregtheit [217] ich zur"uckblieb, alles war in mir zusammengepresst, und wie ich sie so sah, l"assig walzend am Arme des Offiziers, auf der Stirne den k"uhlen Glanz der Sorglosigkeit, indes ich doch w"usste, dass sie… dass sie so wie ich nur daran… daran dachte… dass wir zwei hier allein ein furchtbares Geheimnis gemeinsam hatten… und sie walzte… in diesen Sekunden wurde meine Angst und meine Bewunderung noch mehr Leidenschaft als jemals. Ich weiss nicht, ob mich jemand beobachtet hat, aber gewiss verriet ich mich in meinem Verhalten noch viel mehr, als sie sich verbarg – ich konnte eben nicht in eine andere Richtung schauen, ich musste sie ansehen. Und sie musste diesen starren Blick unangenehm empfunden haben. Als sie am Arme ihres T"anzers zur"uckschritt, sah sie mich im Blitzlicht einer Sekunde an, scharf befehlend: wieder spannte sich jene kleine Falte des hochm"utigen Zornes, die ich schon von damals kannte, b"ose "uber ihrer Stirn.

216

Abwehr, f – самозащита

217

Erregheit, f – взволнованность

Aber… aber… ich sagte es Ihnen ja… ich lief Amok, ich sah nicht nach rechts und nicht nach links. Ich verstand sie sofort – dieser Blick hiess: sei nicht auff"allig [218] ! Ich wusste, dass sie… wie soll ich es sagen?… dass sie Diskretion des Benehmens hier im offenen Saal von mir wollte… ich verstand, dass, wenn ich jetzt heimginge, ich morgen gewiss sein k"onne, von ihr empfangen zu werden… aber es war zu stark in mir, ich musste sie sprechen. Und so schwankte ich hin zu der Gruppe, in der sie plaudernd stand, schob mich – obwohl ich nur einige der Anwesenden kannte – ganz an den lockeren Kreis heran nur aus Begier, sie sprechen zu h"oren. Ich stand, durstig nach einem Wort, das sie zu mir sprechen sollte, nach einem Zeichen des Einverst"andnisses, stand und stand starren Blickes inmitten des Geplauders wie ein Block. Unbedingt musste es schon auff"allig geworden sein, unbedingt, denn keiner richtete ein Wort an mich, und sie musste leiden unter meiner l"acherlichen Gegenwart [219] .

218

auff"alig – выделяющийся

219

Gegenwart, f – присутствие

Wie lange ich so gestanden h"atte, ich weiss es nicht… eine Ewigkeit vielleicht… ich konnte ja nicht fort aus dieser Bezauberung des Willens. Sie ertrug es nicht l"anger… pl"otzlich wandte sie sich mit der prachtvollen [220] Leichtigkeit ihres Wesens gegen die Herren und sagte: „Ich bin ein wenig m"ude… ich will heute einmal fr"uher zu Bett gehen… Gute Nacht!“… und schon streifte sie mit einem gesellschaftlich fremden Kopfnicken an mir vorbei…

220

prachtvoll – блистательно

Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich begriff, dass sie fortging… dass ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen k"onnte diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung… einen Augenblick lang also stand ich noch starr, bis ich begriff… dann… Aber warten Sie… warten Sie… Sie werden sonst das Sinnlose, das Stupide meiner Tat nicht verstehen… ich muss Ihnen erst den ganzen Raum schildern… Es war der grosse Saal des Regierungsgeb"audes, ganz von Lichtern erhellt und fast leer, der ungeheure Saal… die Paare waren zum Tanz gegangen, die Herren zum Spiel… nur an den Ecken plauderten einige Gruppen… der Saal war also leer, jede Bewegung auff"allig und im grellen [221] Licht sichtbar… und diesen grossen weiten Saal schritt sie langsam und leicht mit ihren hohen Schultern durch… mit dieser herrlichen erfrorenen hoheitlichen Ruhe, die mich an ihr so entz"uckte… Ich… ich war zur"uckgeblieben, ich sagte es Ihnen ja, ich war gleichsam gel"ahmt [222] , bevor ich es begriff, dass sie fortging… und da, als ich es begriff, war sie schon am andern Ende des Saales knapp vor der T"ure… Da… oh, ich sch"ame mich jetzt noch, es zu denken… da packte es mich pl"otzlich an und ich lief – h"oren Sie: ich lief… ich ging nicht, ich lief mit polternden [223] Schuhen, die laut widerhallten, quer durch den Saal ihr nach… Ich h"orte meine Schritte, ich sah alle Blicke erstaunt auf mich gerichtet… ich h"atte vergehen k"onnen vor Scham… noch w"ahrend ich lief, war mir schon der Wahnsinn bewusst… aber ich konnte… ich konnte nicht mehr zur"uck… Bei der T"ur holte ich sie ein… Sie wandte sich um… ihre Augen stiessen wie ein grauer Stahl in mich hinein, ihre Nasenfl"ugel zitterten vor Zorn… ich wollte eben zu stammeln anfangen… da… da… lachte sie pl"otzlich hellauf… ein helles, unbesorgtes, herzliches Lachen, und sagte laut… so laut, dass es alle h"oren konnten… „Ach, Doktor, jetzt f"allt Ihnen erst das Rezept f"ur meinen Buben ein… ja, die Herren der Wissenschaft…“ Ein paar, die in der N"ahe standen, lachten gutm"utig mit… ich begriff, ich taumelte unter der Meisterschaft, mit der sie die Situation gerettet hatte… griff in die Brieftasche und riss ein leeres Blatt vom Block, das sie l"assig nahm, ehe sie… noch einmal mit einem kalten, dankenden L"acheln… ging… Mir war leicht in der ersten Sekunde… ich sah, dass mein Irrsinn durch ihre Meisterschaft gutgemacht, die Situation gewonnen… aber ich wusste auch sofort, dass alles f"ur mich verloren sei, dass diese Frau mich um meiner hitzigen Narrheit [224] hasste… hasste mehr als den Tod… dass ich nun hundertmal und hundertmal vor ihre T"ur kommen k"onnte und sie mich wegweisen w"urde wie einen Hund.

221

grell

яркий

222

gel"ahmt – парализованный

223

poltern – стучать

224

Narrheit, f – сумасбродство

Ich taumelte durch den Saal… ich merkte, dass die Leute auf mich blickten… ich muss irgendwie sonderbar ausgesehen haben… Ich ging zum B"ufett, trank zwei, drei, vier Gl"aser Kognak hintereinander… das rettete mich vor dem Umsinken… meine Nerven konnten schon nicht mehr, sie waren wie durchgerissen… Dann schlich ich bei einer Nebent"ur hinaus, heimlich wie ein Verbrecher… ich ging… genau weiss ich nicht mehr zu sagen, wohin ich ging… in ein paar Kneipen und soff mich an… soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will… aber… es ward mir nicht dumpf in den Sinnen… das Lachen stak in mir, schrill und b"ose… das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich nicht bet"auben… Ich irrte dann noch am Hafen herum… meinen Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst h"atte ich mich erschossen. Ich dachte an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim… nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein Revolver lag… Das ich mich dann nicht erschoss… ich schw"ore Ihnen, das war nicht Feigheit… es w"are f"ur mich eine Erl"osung gewesen, den schon gespannten kalten Hahn abzudr"ucken… aber wie soll ich es Ihnen erkl"aren… ich f"uhlte noch eine Pflicht in mir… ja, jene Pflicht, zu helfen, jene verfluchte Pflicht… mich machte der Gedanke wahnsinnig, dass sie mich noch brauchen k"onnte, dass sie mich brauchte… es war ja schon Donnerstag morgens, als ich heimkam, und Samstag… ich sagte es Ihnen ja… Samstag kam das Schiff, und dass diese Frau, diese hochm"utige, stolze Frau die Schande [225] vor ihrem Gatten, vor der Welt nicht "uberleben w"urde, das wusste ich… Ah, wie mich solche Gedanken gemartert [226] haben an die sinnlos kostbare Zeit, an meine irrwitzige [227] "Ubereilung, die jede rechtzeitige Hilfe vereitelt hatte… stundenlang, ja stundenlang, ich schw"ore es Ihnen, bin ich im Zimmer niedergegangen, auf und ab, und habe mir das Hirn zermartert, wie ich alles gutmachen, wie ich ihr helfen k"onnte….. es war schon Tag, es war schon Vormittag… Und pl"otzlich schmiss es mich hin zu dem Tisch… ich riss ein B"undel Briefbl"atter heraus und begann ihr zu schreiben… alles zu schreiben… einen h"undisch Brief, in dem ich sie um Vergebung bat, in dem ich mich einen Wahnsinnigen, einen Verbrecher nannte… in dem ich sie beschwor, sich mir anzuvertrauen… Ich schwor, in der n"achsten Stunde zu verschwinden, aus der Stadt, aus der Kolonie, wenn sie wollte: aus der Welt… nur verzeihen sollte sie mir und mir vertrauen, sich helfen zu lassen in der letzten, der allerletzten Stunde… Zwanzig Seiten fieberte ich so hinunter… es muss ein toller, ein unbeschreiblicher Brief sein, denn als ich aufstand vom Tisch, war ich in Schweiss gebadet [228] … das Zimmer schwankte, ich musste ein Glas Wasser trinken… Dann erst versuchte ich den Brief noch einmal zu "uberlesen, aber mir graute nach den ersten Worten… zitternd faltete ich ihn zusammen, fasste schon ein Kuvert… Da pl"otzlich fuhr mich durch. Mit einem Male wusste ich das wahre, das entscheidende Wort. Und ich riss noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf das letzte Blatt: „Ich warte hier im Strandhotel auf ein Wort der Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschiesse ich mich.“

225

Schande, f – позор

226

martern – мучить

227

irrwitzig – безумный

228

In Schweiss gebadet – находиться в поту

Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hiess ihn das Schreiben sofort "uberbringen. Endlich war alles gesagt – alles!“

Etwas klirrte und kollerte [229] neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte er die Whiskyflasche umgestossen; ich h"orte, wie seine Hand ihr suchend am Boden nachtastete und sie dann mit einem pl"otzlichen Schwung fasste: in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche "uber Bord. Einige Minuten schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und hastiger als zuvor.

229

kollern – катиться

„Ich bin kein gl"aubiger Christ mehr… f"ur mich gibt es keinen Himmel und keine H"olle… und wenn es eine gibt, so f"urchte ich sie nicht, denn sie kann nicht "arger sein als jene Stunden, die ich von Vormittag bis abends erlebte… Denken Sie sich ein kleines Zimmer, nur Tisch und Stuhl und Bett… Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen… einen Menschen, der nichts tut als immer auf diesen Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr starren einen Menschen, der nicht isst und nicht trinkt und nicht raucht und sich nicht regt… der immer nur… h"oren Sie: immer nur, drei Stunden lang… auf den weissen Kreis des Zifferblattes starrt und auf den Zeiger, der tickend den Kreis uml"auft… So… so… habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet… aber gewartet wie… wie eben ein Amokl"aufer etwas tut, sinnlos, tierisch.

Nun… ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern das l"asst sich nicht schildern… ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das erleben kann ohne… ohne wahnsinnig zu werden… Also… um drei Uhr zweiundzwanzig Minuten… ich weiss es genau, ich starrte ja auf die Uhr… klopfte es pl"otzlich an die T"ur… Ich springe auf mit einem Ruck durch das ganze Zimmer zur T"ur, reisse sie auf… ein "angstlicher kleiner Chinesenjunge steht draussen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand.

Ich reisse den Zettel auf, will ihn lesen… und kann ihn nicht lesen… Mir schwankt es rot vor den Augen… denken Sie die Qual, ich habe endlich, endlich das Wort von ihr!..Ich tauche den Kopf ins Wasser… nun wird mir klarer… Nochmals nehme ich den Zettel und lese: „Zu sp"at! Aber warten Sie zu Hause. Vielleicht rufe ich Sie noch.“

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