Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
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Keine Unterschrift auf dem zerkn"ullten Papier, das von irgendeinem alten Prospekt abgefetzt war… ich weiss nicht, warum mich das Blatt so ersch"utterte [230] … Irgendetwas von Grauen, von Geheimnis haftete ihm an, es war wie auf einer Flucht geschrieben… und doch… und doch, ich war gl"ucklich: sie hatte mir geschrieben, ich musste noch nicht sterben, ich durfte ihr helfen… vielleicht… ich durfte… Hundertmal, tausendmal habe ich den kleinen Zettel gelesen, ihn gek"usst… ihn durchforscht nach irgendeinem vergessenen, "ubersehenen Wort… Pl"otzlich schreckte ich auf… Hatte es nicht geklopft?… Ich hielt den Atem an… eine Minute, zwei Minuten reglose Stille… Und dann wieder ganz leise, so wie eine Maus knabbert, ein leises aber heftiges Pochen [231] … Ich sprang auf, noch ganz taumelig, riss die T"ur auf – draussen stand der Boy, ihr Boy, derselbe, dem ich den Mund damals mit der Faust zerschlagen… sein braunes Gesicht war aschfahl [232] , sein verwirrter Blick sagte Ungl"uck… Sofort sp"urte ich Grauen…
230
ersch"uttern – сотрясать
231
pochen –
232
aschfal – пепельный
„Was… was ist geschehen?“ konnte ich noch stammeln. „Come quickly“, sagte er… sonst nichts… sofort raste ich die Treppe herunter, er mir nach…
Ein kleiner Wagen, stand bereit, wir stiegen ein… „Was ist geschehen?“ fragte ich ihn… Er sah mich zitternd an und schwieg mit verbissenen Lippen… Ich fragte nochmals – er schwieg und schwieg. – Ich h"atte ihm am liebsten wieder ins Gesicht geschlagen mit der Faust, aber… gerade seine h"undische Treue [233] zu ihr r"uhrte mich… so fragte ich nicht mehr… Endlich kamen wir in eine enge Gasse, ganz abseits lag sie… vor einem niederen Haus hielt er an… Hastig klopfte der Boy an… Hinter dem T"urspalt zischelte [234] eine Stimme, fragte und fragte… Ich konnte es nicht mehr ertragen, sprang vom Sitz, stiess die angelehnte T"ur auf…ein altes chinesisches Weib fl"uchtete mit einem kleinen Schrei zur"uck… hinter mir kam der Boy, f"uhrte mich durch den Gang… klinkte eine andere T"ur auf eine andere T"ure in einen dunklen Raum, der "ubel roch von Branntwein und gestocktem Blut… Irgendetwas st"ohnte darin… ich tappte hin…“
233
Treue, f – верность
234
zischeln – шептать
Wieder stockte die Stimme. Und was dann ausbrach, war mehr ein Schluchzen [235] als ein Sprechen.
„Ich… ich tappte hin… und dort… dort lag auf einer schmutzigen Matte… verkr"ummt vor Schmerz…ein st"ohnendes St"uck Mensch… dort lag sie…Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen im Dunkel… Meine Augen waren noch nicht gew"ohnt… so tastete ich nur hin… ihre Hand… heiss… brennend heiss… Fieber, hohes Fieber… und ich schauerte… ich wusste sofort alles… sie war hierher gefl"uchtet vor mir… hatte sich verst"ummeln [236] lassen von irgendeiner schmutzigen Chinesin, nur weil sie hier mehr Schweigsamkeit [237] erhoffte… hatte sich morden lassen von irgendeiner teuflischen Hexe, lieber als mir zu vertrauen… nur weil ich Wahnsinniger… weil ich ihr nicht gleich geholfen hatte… weil sie den Tod weniger f"urchtete als mich…
235
schluchzen – рыдать
236
verst"ummeln – искалечить
237
Schweigsamkeit, f – молчаливость
Ich schrie nach Licht. Der Boy sprang: die abscheuliche Chinesin brachte mit zitternden H"anden eine Petroleumlampe [238] … Sie stellten die Lampe auf den Tisch… der Lichtschein fiel gelb und hell "uber den gemarterten Leib… Und pl"otzlich… pl"otzlich war alles weg von mir, alle Dumpfheit, aller Zorn, all diese unreine Jauche [239] von aufgeh"aufter Leidenschaft… ich war nur mehr Arzt, helfender, sp"urender, wissender Mensch… ich hatte mich vergessen… k"ampfte mit wachen, klaren Sinnen gegen das Entsetzliche… Ich f"uhlte den nackten Leib, den ich in meinen Tr"aumen begehrt, nur mehr als… wie soll ich es sagen… als Materie, als Organismus… ich sp"urte nicht mehr sie, sondern nur das Leben, das sich gegen den Tod wehrte, den Menschen, der sich kr"ummte in m"orderischer Qual… Ihr Blut, ihr heisses, heiliges Blut "uberstr"omte meine H"ande, aber ich sp"urte es nicht in Lust und nicht in Grauen… ich war nur Arzt… ich sah nur das Leiden… und sah…
238
Petroleumlampe, f – керосиновая лампа
239
Jauche, f – одурь
Und sah sofort, dass alles verloren war, wenn nicht ein Wunder geschehe… sie war verletzt und halb verblutet unter der verbrecherisch ungeschickten [240] Hand… und ich hatte nichts, um das Blut zu stillen in dieser stinkenden H"ohle, nicht einmal reines Wasser… alles, was ich anr"uhrte, starrte vor Schmutz… „Wir m"ussen sofort ins Spital“, sagte ich. Aber kaum dass ich gesagt, b"aumte sich kr"ampfig der gemarterte Leib auf. „Nein… nein… lieber sterben… niemand es erfahren… niemand es erfahren… nach Hause… nach Hause…“ Ich verstand… nur mehr um das Geheimnis, um ihre Ehre rang sie… nicht um ihr Leben… Und – ich gehorchte [241] … Der Boy brachte eine S"anfte… wir betteten sie hinein… und so… wie eine Leiche schon, matt und fiebernd… trugen wir sie durch die Nacht nach Hause… die fragende, erschreckte Dienerschaft abwehrend… wie Diebe trugen wir sie hinein in ihr Zimmer und sperrten die T"uren… Und dann dann begann der Kampf, der lange Kampf gegen den Tod…“
240
ungeschickt – неумелый
241
gehorchen – повиноваться
Pl"otzlich krampfte sich eine Hand in meinen Arm, dass ich fast aufschrie vor Schreck und Schmerz. Im Dunkeln war mir das Gesicht mit einem mal fratzenhaft nah. Und jetzt sprach er nicht mehr – er schrie, gesch"uttelt von einem heulenden Zorn: „Wissen Sie denn, Sie fremder Mensch, der Sie hier l"assig auf einem Deckstuhl sitzen, ein Spazierfahrer durch die Welt, wissen Sie, wie das ist, wenn ein Mensch stirbt? Sind Sie schon einmal dabei gewesen, haben Sie es gesehen, wie der Leib sich aufkr"ummt [242] , die blauen N"agel ins Leere krallen [243] , wie die Kehle [244] r"ochelt, jedes Glied sich wehrt [245] , jeder Finger sich stemmt [246] gegen das Entsetzliche, und wie das Auge aufspringt in einem Grauen, f"ur das es keine Worte gibt? Haben Sie das schon einmal erlebt, Sie Weltfahrer, Sie, der Sie vom Helfen reden als von einer Pflicht? Ich habe es oft gesehen als Arzt, habe es gesehen als… als klinischen Fall, als Tatsache… habe es sozusagen studiert – aber erlebt habe ich es nur einmal, miterlebt, mitgestorben bin ich nur damals in jener Nacht… in jener entsetzlichen Nacht, wo ich sass und mir das Hirn zerpresste, um etwas zu wissen, etwas zu finden, zu erfinden gegen das Blut, das rann und rann und rann, gegen das Fieber, das sie vor meinen Augen verbrannte… gegen den Tod, der immer n"aher kam und den ich nicht wegdr"angen konnte vom Bett.
242
sich kr"ummen –
243
krallen – скрючивать
244
Kehle, f – гортань
245
wehren – бороться
246
stemmen – упираться
Verstehen Sie, was das heisst, Arzt zu sein, alles wissen gegen alle Krankheiten – die Pflicht haben, zu helfen, wie Sie so weise sagen – und doch ohnm"achtig bei einer Sterbenden zu sitzen, wissend und doch ohne Macht… nur dies eine, dies Entsetzliche wissend, dass man nicht helfen kann, ob man sich auch jede Ader [247] aus seinem K"orper aufreissen m"ochte… einen geliebten K"orper zu sehen, wie er verblutet, gemartert von Schmerzen, einen Puls zu f"uhlen, der fliegt und zugleich verlischt… Arzt zu sein und nichts zu wissen, nichts, nichts, nichts… nur die F"auste ballen gegen einen erb"armlichen Gott, von dem man weiss, dass es ihn nicht gibt… Verstehen Sie das?
247
Ader, f – вена
Verstehen Sie das?… Ich… ich verstehe nur eines nicht, wie… wie man es macht, dass man nicht mitstirbt in solchen Sekunden… dass man dann noch am n"achsten Morgen von einem Schlaf aufsteht und sich die Z"ahne putzt und eine Krawatte umbindet… dass man noch leben kann, wenn man das miterlebte, was ich f"uhlte, wie dieser Atem, dieser erste Mensch, um den ich rang und k"ampfte, den ich halten wollte mit allen Kr"aften meiner Seele… wie der wegglitt unter mir… irgendwohin, immer rascher wegglitt, Minute um Minute, und ich nichts wusste in meinem fieberndem Gehirn, um diesen, diesen einen Menschen festzuhalten… Und dazu, um teuflisch noch meine Qual zu verdoppeln, dazu noch dies… W"ahrend ich an ihrem Bett sass – ich hatte ihr Morphium eingegeben, um die Schmerzen zu lindern, und sah sie liegen, mit heissen Wangen, heiss und fahl – ja… w"ahrend ich so sass, sp"urte ich vom R"ucken her immer zwei Augen auf mich gerichtet mit einem f"urchterlichen Ausdruck der Spannung… Der Boy sass dort auf den Boden gekauert und murmelte leise irgendwelche Gebete… Wenn mein Blick den seinen traf, so… nein, ich kann es nicht schildern… so kam etwas so Flehendes, so… so Dankbares in seinen h"undischen Blick, und gleichzeitig hob er die H"ande zu mir, als wollte er mich beschw"oren, sie zu retten… verstehen Sie: zu mir, zu mir hob er die H"ande wie zu einem Gott… zu mir… dem ohnm"achtigen Schw"achling, der wusste, dass alles verloren… dass ich hier so unn"otig sei wie eine Ameise [248] , die am Boden raschelt… Ah, dieser Blick, wie er mich qu"alte, diese fanatische, diese tierische Hoffnung auf meine Kunst… ich h"atte ihn anschreien k"onnen und mit dem Fuss treten, so weh tat er mir… und doch, ich sp"urte, wie wir beide zusammenhingen durch unsere Liebe zu ihr… durch das Geheimnis… Ein lauerndes Tier, ein dumpfes Kn"auel, sass er zusammengeballt knapp hinter mir… kaum dass ich etwas verlangte, sprang er auf mit seinen nackten lautlosen Sohlen [249] und reichte es zitternd… erwartungsvoll her, als sei das die Hilfe… die Rettung…
248
Ameise, f – муравей
249
Sohle, f – подошва
Ich weiss, er h"atte sich die Adern aufgeschnitten, um ihr zu helfen… so war diese Frau, solche Macht hatte sie "uber Menschen… und ich… ich hatte nicht die Macht, ein Qu"antchen [250] Blut zu retten… O diese Nacht, diese entsetzliche Nacht, diese unendliche Nacht zwischen Leben und Tod! Gegen Morgen ward sie noch einmal wach… sie schlug die Augen auf… jetzt waren sie nicht mehr hochm"utig und kalt… ein Fieber glitzerte feucht darin, als sie, gleichsam fremd, das Zimmer abtasteten… Dann sah sie mich an: sie schien nachzudenken, sich erinnern zu wollen an mein Gesicht… und pl"otzlich… ich sah es… erinnerte sie sich… denn irgendein Schreck… etwas Feindliches, Entsetztes spannte ihr Gesicht… sie arbeitete mit den Armen, als wollte sie fl"uchten… weg, weg, weg von mir… ich sah, sie dachte an das… an die Stunde von damals… Aber dann kam ein Besinnen… sie sah mich ruhiger an, atmete schwer… ich f"uhlte, sie wollte sprechen, etwas sagen… Wieder begannen die H"ande sich zu spannen… sie wollte sich aufheben, aber sie war zu schwach… Ich beruhigte sie, beugte mich nieder… da sah sie mich an mit einem langen, gequ"alten Blick… ihre Lippen regten sich leise… es war nur ein letzter erl"oschender Laut, wie sie sagte…
250
Qu"antchen, n – капелька
„Wird es niemand erfahren?… Niemand?“
„Niemand“, sagte ich mit aller Kraft der "Uberzeugung, „ich verspreche es Ihnen.“ Aber ihr Auge war noch unruhig… Mit fiebriger Lippe ganz undeutlich arbeitete sie’s heraus. „Schw"oren Sie mir… niemand erfahren… schw"oren.“
Ich hob die Finger wie zum Eid [251] . Sie sah mich an…mit einem… einem unbeschreiblichen Blick… weich war er, warm, dankbar… ja, wirklich, wirklich dankbar… Sie wollte noch etwas sprechen, aber es ward ihr zu schwer. Lang lag sie, ganz matt von der Anstrengung, mit geschlossenen Augen. Dann begann das Entsetzliche… das Entsetzliche… eine ganz schwere Stunde k"ampfte sie noch: erst morgens war es zu Ende…“
251
Eid, m – клятва