Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen
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Er sah mich an – ein harter, zynischer Zug zerrte an seinen Lippen, etwas B"oses stiess und verkr"ummte jedes Wort.
„Aha… Ihre famose Pflicht, zu helfen… aha… Mit der Maxime haben Sie mich ja gl"ucklich zum Schwatzen [282] gebracht. Aber nein, mein Herr, ich danke. Glauben Sie ja nicht, dass mir jetzt leichter sei. Mein verpfuschtes [283] Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken… ich habe eben umsonst der holl"andischen Regierung gedient… die Pension ist futsch [284] , ich komme als armer Hund nach Europa zur"uck… ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt [285] … man l"auft nicht lange ungestraft Amok, am Ende schl"agts einen doch nieder, und ich hoffe, ich bin bald am Ende… Nein, danke, mein Herr, f"ur Ihren g"utigen Besuch… ich habe schon in der Kabine meine Gef"ahrten [286] … ein paar gute alte Flaschen Whisky, die tr"osten mich manchmal, und dann meinen Freund von damals, an den ich mich leider nicht rechtzeitig gewandt habe, meinen braven Browning… Bitte, bem"uhen Sie sich nicht… das einzige Menschenrecht, das einem bleibt, ist doch: zu krepieren [287] wie man will… und dabei ungeschoren zu bleiben von fremder Hilfe.“
282
Schwatz, m –
283
verpfuschen – портить
284
futsch sein – пропасть
285
winseln – скулить
286
Gef"ahrte, m – попутчик
287
krepieren – околеть
Er sah mich noch einmal h"ohnisch [288] … ja herausfordernd an, aber ich sp"urte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die Schultern, wandte sich um, ohne zu gr"ussen, und ging merkw"urdig schief "uber das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Vergebens [289] suchte ich ihn nachts und die n"achste Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich h"atte an einen Traum geglaubt oder an eine phantastische Erscheinung, w"are mir nicht inzwischen unter den Passagieren ein anderer aufgefallen, mit einem Trauerflor um den Arm, ein holl"andischer Grosskaufmann, der eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verloren hatte. Ich bog immer zur Seite, wenn er vor"uberkam, um nicht mit einem Blick zu verraten, dass ich mehr von seinem Schicksal wusste als er selbst.
288
h"ohnisch – насмешливый
289
vergebens – напрасно
Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkw"urdige Unfall, dessen Deutung ich in der Erz"ahlung des Fremden zu finden glaube. Die meisten Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und dann noch in eines der hellen Caf'es an der Via Roma. Als wir mit einem Ruderboot [290] zu dem Dampfer zur"uckkehrten, fiel mir schon auf, dass einige Boote mit Fackeln und Azetylen Lampen das Schiff suchend umkreisten, und oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen sei. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, dass Auftrag zum Schweigen gegeben sei, und auch am n"achsten Tage war nichts an Bord zu erfahren.
290
Ruderboot, n – шлюпка
Erst in den italienischen Zeitungen las ich dann romantisch ausgeschm"uckt, von jenem angeblichen Unfall im Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte der Sarg einer vornehmen Dame aus den holl"andischen Kolonien von Bord des Schiffes auf ein Boot gebracht werden, und man liess ihn eben in Gegenwart [291] des Gatten die Strickleiter [292] herab, als irgendetwas Schweres vom hohen Bord niederst"urzte und den Sarg mit den Tr"agern und dem Gatten mit sich in die Tiefe riss. Eine Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewesen, der sich die Treppe hinab auf die Strickleiter gest"urzt habe, eine andere besch"onigte [293] , die Leiter sei von selbst unter dem "ubergrossen Gewicht gerissen: jedenfalls schien die Schifffahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen Sachverhalt zu verschleiern [294] . Man rettete nicht ohne M"uhe die Tr"ager und den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden.
291
Gegenwart, f – присутствие
292
Strickleiter, f – верёвочная лестница
293
besch"onigen – скрашивать
294
verschleiern – скрывать
Dass gleichzeitig in einer andern Notiz kurz erw"ahnt wurde, es sei die Leiche eines etwa vierzigj"ahrigen Mannes im Hafen angeschwemmt [295] worden, schien f"ur die "Offentlichkeit in keinem Zusammenhang mit dem romantisch reportierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum dass ich die fl"uchtige Zeile gelesen, als starre pl"otzlich hinter dem papierenen Blatt das mondweisse Antlitz mit den glitzernden Brillengl"asern mir noch einmal gespenstisch [296] entgegen.
295
anschwemmen –
296
gespenstisch – призрачный
Schachnovelle
Auf dem grossen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte, herrschte die "ubliche Gesch"aftigkeit und Bewegung der letzten Stunde. G"aste vom Land dr"angten [297] durcheinander, um ihren Freunden das Geleit zu geben [298] , Telegraphenboys mit schiefen M"utzen schossen Namen ausrufend durch die Gesellschaftsr"aume, Koffer und Blumen wurden geschleppt, Kinder liefen neugierig treppauf und treppab, w"ahrend das Orchester unersch"utterlich zur Deck-show spielte.
297
dr"angen – толкаться, тесниться
298
Geleit geben – обеспечить сопровождение
Ich stand im Gespr"ach mit einem Bekannten etwas abseits von diesem Get"ummel [299] auf dem Promenadendeck, als neben uns zwei-oder dreimal Blitzlicht scharf aufspr"uhte – anscheinend war irgendein Prominenter knapp vor der Abfahrt noch rasch von Reportern interviewt und fotografiert worden.
Mein Freund blickte hin und l"achelte. „Sie haben da einen raren Vogel an Bord, den Czentovic.“ Und da ich offenbar ein ziemlich verst"andnisloses Gesicht zu dieser Mitteilung machte, f"ugte er erkl"arend bei: „Mirko Czentovic, der Weltschachmeister. Er hat ganz Amerika von Ost nach West mit Turnierspielen abgeklappert und f"ahrt jetzt zu neuen Triumphen nach Argentinien.“
299
Get"ummel, n – суматоха
In der Tat erinnerte ich mich nun dieses jungen Weltmeisters und sogar einiger Einzelheiten im Zusammenhang mit seiner raketenhaften Karriere; mein Freund, ein aufmerksamerer Zeitungsleser als ich, konnte sie mit einer ganzen Reihe von Anekdoten erg"anzen. Czentovic hatte sich vor etwa einem Jahr mit einem Schlage neben die bew"ahrtesten Altmeister der Schachkunst, wie Aljechin, Capablanca, Tartakower, Lasker, Bogoljubow, gestellt. Seit dem Auftreten des siebenj"ahrigen Wunderkindes Rzecewski bei dem Schachturnier in New York hatte noch nie der Einbruch eines v"ollig Unbekannten in die Gilde derart [300] allgemeines Aufsehen erregt. Denn Czentovics intellektuelle Eigenschaften schienen ihm keineswegs solch eine blendende Karriere von vornherein [301] zu weissagen. Bald sickerte [302] das Geheimnis durch, dass dieser Schachmeister in seinem Privatleben ausserstande [303] war, in irgendeiner Sprache einen Satz ohne orthographischen Fehler zu schreiben.
300
derart – такого рода
301
von vornherein – сразу, с самого начала
302
sickern – обнаружилась, сочиться
303
ausserstande sein – быть не в состоянии сделать что-либо
Sohn eines blutarmen s"udslawischen Donauschiffers, dessen winzige Barke eines Nachts von einem Getreidedampfer "uberrannt [304] wurde, war der damals Zw"olf. Nach dem Tode seines Vaters vom Pfarrer [305] aus Mitleid aufgenommen worden, und der gute Pater bem"uhte sich redlich, durch h"ausliche Nachhilfe wettzumachen, was das maulfaule, dumpfe, Kind in der Dorfschule nicht zu erlernen vermochte.
Aber die Anstrengungen blieben vergeblich. Mirko starrte die ihm schon hundertmal erkl"arten Schriftzeichen immer wieder fremd an. Wenn er rechnen sollte, musste er noch mit vierzehn Jahren die Finger zu Hilfe nehmen, und ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, bedeutete f"ur den noch besondere Anstrengung.
304
"uberrannt – потоплено
305
Pfarrer, m – пастор
Dabei konnte man Mirko keineswegs unwillig oder widerspenstig [306] nennen. Was den guten Pfarrer aber an dem querk"opfigen Knaben am meisten verdross [307] , war seine totale Teilnahmslosigkeit. Er tat nichts ohne besondere Aufforderung, stellte nie eine Frage, spielte nicht mit anderen Burschen und suchte von selbst keine Besch"aftigung; sobald Mirko die Verrichtungen des Haushalts erledigt hatte, sass er stur im Zimmer herum mit jenem leeren Blick. W"ahrend der Pfarrer Abends mit dem Gendarmerie Wachtmeister seine "ublichen drei Schachpartien spielte, hockte [308] der blondstr"ahnige Bursche stumm daneben und starrte unter seinen schweren Lidern anscheinend schl"afrig und gleichg"ultig auf das karierte Brett.
306
widerspenstig – своенравный, строптивый
307
verdriessen – сердить, раздражать
308
hocken – сидеть на корточках